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»Ich bin doch Journalist«
Türkei: Mit zum Teil drastischen Urteilen gegen Mitarbeiter der »Cumhuriyet« geht eine Justizfarce vorerst zu Ende
Am Mittwochabend ging es plötzlich ganz rasch. Ein Gericht in der türkischen Metropole Istanbul verurteilte 14 Mitarbeiter der Zeitung »Cumhuriyet« zu mehrjährigen Haftstrafen. Internationale Beobachter, die das Urteil erst für Freitag erwarteten, hatten das Nachsehen. Das war allerdings nur ein kleiner Fehler in einem Verfahren, das man einzig als Farce bezeichnen kann. Es begann damit, dass im Oktober 2016 plötzlich zahlreiche Mitarbeiter der »Cumhuriyet« festgenommen worden waren, ohne dass ihnen der Grund für die Festnahme genannt wurde. Denn der unterlag der Geheimhaltung. Auf die Frage von Kollegen, warum er gerade abgeführt werde, fand der Kolumnist Aydın Engin damals trotzdem eine rasche Antwort: »Ich bin doch Journalist«.
Noch bizarrer wurde es, als sich herausstellte, dass der Staatsanwalt, der die Anklageschrift gegen die Journalisten zusammenstellen durfte, selbst wegen Mitgliedschaft in derselben Terrororganisation angeklagt war, die die Macht bei der »Cumhuriyet« übernommen haben sollte. Bei dieser Terrororganisation handelt sich um die Sekte des pensionierten Predigers Fethullah Gülen, der von der AKP-Regierung für den Putschversuch am 15. Juli 2016 verantwortlich gemacht wird.
Dass es ausgerechnet der Gülen-Bewegung gelungen sein soll, die »Cumhuriyet« zu unterwandern, ist die nächste Absurdität des Verfahrens. Keine andere Zeitung hat so intensiv und ausgiebig immer wieder vor dem Einfluss der Gülen-Sekte gewarnt wie die »Cumhuriyet«.
Die 1925 gegründete und damit älteste Tageszeitung des Landes war immer der laizistischen Staatsauffassung Atatürks verpflichtet. Vor so jemandem wie Gülen zu warnen, liegt sozusagen in der DNA des Blattes. In der von Erdoğans AKP ist eine Gegnerschaft zu Gülen hingegen keineswegs zu finden. Jahrelang hatte Gülen die AKP und Erdoğan unterstützt und seine potenziellen Gegner verfolgt. Erst als diese politisch marginalisiert waren, begann ein Machtkampf zwischen Gülen und Erdoğan.
Nicht genug mit dem Gülen-Vorwurf, auch für die kurdische Arbeiterpartei PKK und eine weitere linke Organisation - die DHKP-C - soll die »Cumhuriyet« gearbeitet haben. Der Prozess drehte sich dann auch im wesentlichen um Kommentare der Mitarbeiter, die so ausgelegt wurden, dass sie besagte Terrororganisationen unterstützt hätten. Die Logik dabei: Die Terrororganisationen wollen die Regierung stützen und freuen sich über die kritischen Kommentare der Zeitung. Darüber hinaus wurde die Tatsache, dass das Layout der Titelseite geändert worden war als Hinweis darauf gedeutet, dass die Zeitung heimlich auf einen anderen Kurs eingeschwenkt sei.
Zu den nun Verurteilten gehören der Chefredakteur Murat Sabuncu und der Herausgeber Akin Atalay die zu sieben Jahren und sechs Monaten bzw. sieben Jahren, drei Monaten und 15 Tagen Haft verurteilt wurden. Verurteilt wurde auch der Türkei-Vertreter des International Press Institute, Kadri Gürsel, und der Karikaturist Musa Kart. Letzterer ist bekannt geworden durch einen langen Streit mit dem heutigen Präsidenten Erdoğan, den Kart einst in Gestalt einer Katze gezeichnet hatte.
Der bereits erwähnte Aydın Engin wurde ebenfalls zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Für den 77-jährigen Kolumnisten und Theaterregisseur mit grauem Schnurrbart und trockenem Humor, mag das wie ein Dejà-vu-Erlebnis gewesen sein - denn nach dem Militärputsch von 1980 hatte er bereits eine Strafe in gleicher Höhe erhalten.
Der Investigativjournalist Ahmet Şık, der ebenfalls zu siebeneinhalb Jahren verurteilt wurde, könnte vielleicht darauf plädieren, dass ihm zusätzlich zu dem einen Jahr U-Haft in diesem Verfahren auch noch die U-Haft zwischen März 2011 und März 2012 auf die Haftstrafe angerechnet wird. Damals hatte Şık das Buch »Die Armee des Imam« verfasst, in dem er vor der Unterwanderung der Polizei und Justiz durch die Gülen-Sekte warnte. Die Staatsanwaltschaft erklärte das Manuskript zum Dokument einer Terrororganisation und stellte den Besitz unter Strafe.
Heute ist das, was Şık damals schrieb, bei den Strafverfolgungsbehörden längst Allgemeingut. Nur der Autor der Schrift wurde nicht rehabilitiert, sondern nun als vermeintlicher Gülen-Helfer bestraft. Kein Wunder, dass sich Şık vor Gericht nicht mehr verteidigen wollte, sondern selbst anklagen wolle, wie er sagte. Für den Staatsanwaltschaft hatte er indessen einen Tipp: »Die Terrororganisation, die Sie suchen, ist als politische Partei verkleidet und regiert dieses Land«, sagte Şık zu Beginn des Verfahrens in einer Rede vor Gericht.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bis zum Abschluss des Verfahrens bleiben die Beschuldigten auf freiem Fuß. Doch das ist eine Freiheit auf Zeit. Außerdem droht der Stiftung, der die Zeitung gehört, die Enteignung. Unter dem Vorwand der Anschuldigungen könnte auch ein Treuhänder eingesetzt werden, der das alte Personal rausschmeißt und neues mitbringt, dass dann eine ganz anders ausgerichtete Zeitung produziert. Dies ist in letzter Zeit schon mehrfach bei anderen Medien in der Türkei passiert. Bisher hat man sich an die altehrwürdige »Cumhuriyet« noch nicht herangewagt, aber Urteile wie jenes vom Mittwoch ebnen den Weg dahin.
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