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  • Hochhauseinsturz in São Paulo

Brasiliens Rechte hetzt nach Tragödie gegen soziale Bewegungen

In São Paulo war ein besetztes Hochhaus abgebrannt und eingestürzt / Besetzer*innen wehren sich gegen Verleumdungen von rechts

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 3 Min.

Krachend brach das Schicksal über Hunderte Familien in São Paulo herein. In der Nacht zu Dienstag hat ein ehemaliges Bürogebäude in der Innenstadt der Megametropole zuerst Feuer gefangen und war danach eingestürzt. Innerhalb von wenigen Sekunden lag das 24-stöckige Gebäude in Schutt. In dem besetzten Haus hatten Mitglieder der Wohnungslosenbewegung MLSM gelebt. Es soll Tote gegeben haben, mehrere Menschen werden vermisst. 150 Familien wurden auf einen Schlag obdachlos.

Auch Michelle de Oliveira Santos hat zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter in dem Wolkenkratzer gelebt. »Ich habe Schreie gehört, mir meine Tochter geschnappt und bin rausgerannt«, sagte die 35-Jährige dem »nd«. »Ich habe alles verloren, jetzt bin ich auf Spenden angewiesen.« Wie fast alle ihrer ehemaligen Nachbar*innen lebt die Friseurin jetzt in einem Camp, vor den immer noch rauchenden Trümmern des Gebäudes. Linke und zivilgesellschaftliche Gruppen haben zu einer Spendenaktion aufgerufen, trotzdem fehlt es den Besetzer*innen an fast allem.

Das Unglück entwickelt sich immer mehr zu einer politischen Debatte. Rechte Kräfte nutzen die Tragödie, um Stimmung gegen Wohnungslosenbewegungen zu machen. Der rechtsgerichtete Ex-Bürgermeister, João Doria, sieht die Schuld für das Feuer bei den Familien und bezeichnete die Bewegung als »kriminelle Vereinigung«. Auch in sozialen Medien brach der Hass über die als »Diebe« verunglimpften Besetzter*innen herein. Präsident Michel Temer, der regelmäßig über soziale Bewegungen hetzt und mit seiner neoliberalen Kahlschlagpolitik viele Rechte der armen Bevölkerung zerstört hat, besuchte am Folgetag den Unfallort, wurde dort jedoch von wütenden Demonstrant*innen vertrieben.

Das besetzte Hochhaus (links) in der Innenstadt von São Paulo vor dem Einsturz.
Das besetzte Hochhaus (links) in der Innenstadt von São Paulo vor dem Einsturz.

Das Hochhaus war vor sechs Jahren von armen Familien besetzt worden. Hausbesetzungen haben Tradition in der Megalopolis: Alleine in der Innenstadt von São Paulo werden mehr als 70 Häuser besetzt gehalten. Hintergrund ist die massive Wohnungsnot und die extreme soziale Ungleichheit in der Stadt. Laut Statistiken der städtischen Wohnungsbehörde haben Hunderttausende Menschen im Großraum São Paulo keine Wohnung oder leben in eigentlich unzumutbaren Verhältnissen – Tendenz steigend.

Gleichzeitig stehen alleine in der Innenstadt Tausende Wohneinheiten zu Spekulationszwecken leer. Die progressive Verfassung aus dem Jahr 1988 schreibt für leerstehende private Gebäude eine »soziale Funktion« vor. Hauseigentümer*innen können sogar enteignet werden, wenn dies nicht der Fall ist. Somit sind Besetzungen faktisch legal. Anspruch und Wirklichkeit klaffen allerdings weit auseinander. Die Verbindungen zwischen Immobilienkapital, Politik und Justiz sind ein offenes Geheimnis. Die Gentrifizierung in der lange Zeit vernachlässigten Innenstadt schreitet voran, und die eingeleitete »Revitalisierung« verdrängt die arme Bevölkerung. So kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Räumungen von besetzten Häusern. Die meisten Gebäude stehen danach wieder als Spekulationsobjekte leer.

In vielen Medien wurde nach der Tragödie kolportiert, dass das Gebäude von der bekannten Wohnungslosenbewegung MTST besetzt wurde – für viele Linke ein klarer Versuch, medial gegen den Aktivismus der Bewegung mobilzumachen. Denn: Die MTST gilt als landesweit wichtigste soziale Bewegung. Ihr Nationalkoordinator Guilherme Boulos wird bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober für die linke Partei PSOL kandidieren. Zu der Debatte sagte Boulos: »Wohnungslose für ihre prekären Bedingungen verantwortlich zu machen, ist eine unfassbare Perversion. Niemand besetzt, weil er will, sondern weil er keine Alternativen hat.«

Auch die ehemalige Besetzerin Santos meint: »Ich habe in der Besetzung gelebt, weil ich keine Alternative hatte. Nun lebe ich wieder auf der Straße und weiß nicht, wo ich hin soll.«

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