Bauarbeiter »abgezockt«

Recht versus Moral: Richterin lehnt Klage von rumänischem Arbeiter ab

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie würde ja gerne, kann aber nicht. So lässt sich die Position der Richterin am Arbeitsgericht Berlin zu einer weiteren Klage eines rumänischen Bauarbeiters der »Mall of Berlin« zusammenfassen. Nicolae Hurmuz hatte beim Bau des gigantischen Einkaufszentrums am Leipziger Platz zu wenig Lohn erhalten - und mit ihm 50 weitere rumänische Bauarbeiter. »Dass da einiges sehr merkwürdig gelaufen ist, bestreitet wohl niemand«, sagte die Richterin nun am Donnerstag. Und ergänzt: »Ich hätte beinahe gesagt, da seien einige Bauarbeiter abgezockt worden.« Dafür hätten aber in mehreren früheren Verfahren schon Beweise gefehlt. Sie wies die Klage ab.

Das ist tatsächlich ein Problem. Häufig hatten die Bauarbeiter, die mehrheitlich gerade erst nach Deutschland gekommen waren, sich mit dem hiesigen Arbeitsrecht nicht auskannten und kaum Deutsch sprachen, keinen schriftlichen Vertrag. Schriftliche Beweise, dass sie tatsächlich auf der Baustelle der Mall of Berlin gearbeitet haben, mussten sie mühevoll zusammensuchen.

Das andere Problem ist die bisherige Rechtsprechung. Bisher wurden immer nur die jeweiligen Unternehmen, die die Aufträge an Bauarbeiter gegeben hatten, für ausbleibende Lohnzahlungen haftbar gemacht - höchstens noch der sogenannte Generalunternehmer, der die Arbeiten auf einer Baustelle beaufsichtigt und koordiniert. Im Falle der Mall of Berlin wären das die Subunternehmen Openmallmaster oder Metatec, der Generalunternehmer war die Fettchenhauer Controlling & Logistik GmbH. Fettchenhauer und Metatec meldeten allerdings Insolvenz an, Vertreter von Openmallmaster sind untergetaucht. Deshalb klagte Nicolae Hurmuz nun gegen den Bauherrn, die Firma HGHI Leipziger Platz GmbH und Co. KG, hinter der der Investor Harald Huth steht. Die GmbH vermietet die Ladenflächen in der Mall - und steckt mit mehreren Modegeschäften in Gerichtsverfahren über die Höhe und Dauer der Miete.

»Die Rechtsprechung ist zu restriktiv, sie muss sich ändern«, sagt Klaus Stähle, der von der FAU hinzugezogene Anwalt. Seiner Meinung nach hätte die Richterin durchaus anders entscheiden können. Er will mit seinem Mandanten nun in Berufung gehen. Scheitert er dann wieder, wird er vermutlich vor das Bundesarbeitsgericht ziehen. Ein Kollege von Hurmuz, Ovidiu Mandrila, hat dort bereits Klage eingereicht.

Die Hartnäckigkeit, mit der die rumänischen Arbeiter der Mall of Berlin nun schon seit vier Jahren um ihr Recht streiten, ist vermutlich einzigartig - in der Branche und unter ausländischen Arbeitern. Ohne die Unterstützung der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) hätten sie vermutlich längst aufgegeben. Dabei ist das Schicksal weitverbreitet. Die Beratungsstelle Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbunds DGB, die sich explizit an migrantische Arbeiter aus Mittel- und Osteuropa wendet, hat 2017 allein in Berlin 354 Fälle bearbeitet, die 498 Personen betrafen. In ganz Deutschland waren es 6741 Personen. In insgesamt 106 Beratungsveranstaltungen wurden zudem noch einmal mehr als 7000 Personen am Arbeitsort oder in ihren Wohnunterkünften über ihre Rechte informiert. Die meisten waren in den Branchen Transport/Lager/Logistik, Baugewerbe und Gebäudereinigung tätig.

Auch Elke Breitenbach, Senatorin für Arbeit und Soziales (LINKE), weiß, dass viele Bürger der Europäischen Union ihr Recht auf Freizügigkeit in der EU nutzen, um in Deutschland zu arbeiten. »Sie suchen hier Arbeit, fallen aber häufig skrupelloser Arbeitsausbeutung zum Opfer. Der Bau der Mall of Berlin war ein beschämendes Beispiel dafür«, sagte sie dem »nd«. »Wer Arbeit leistet, muss selbstverständlich dafür entlohnt werden. Das muss für alle Branchen gelten.« Viel tun kann sie allerdings nicht: Baurecht ist Bundesrecht.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!