- Politik
- Mord an Marielle Franco
Deutsche Waffe tötete linke Stadträtin in Rio de Janeiro
Maschinenpistole von Heckler & Koch bei Mord benutzt / Waffengegner fordern totale Exportverbote für Brasilien
Es waren Schüsse, die Brasiliens Linke tief erschütterten. Am 14. März wurde die prominente Menschenrechtsaktivistin und Politikerin Marielle Franco in der Innenstadt von Rio de Janeiro ermordet. Franco befand sich auf dem Rückweg von einer Veranstaltung, als Unbekannte auf ihr Auto feuerten. Vier Schüsse trafen die Abgeordnete des Stadtparlaments im Kopf, sie starb vor Ort. Nun ergaben Polizeiermittlungen, dass Franco mit einer Maschinenpistole des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch ermordet wurde.
Laut Presseberichten, die sich auf Informationen eines Polizisten stützen, soll es sich um eine Waffe des Typs MP5 handeln. Diese Waffe wird in Brasilien vor allem von Spezialeinheiten der Polizei benutzt. Die ermittelnde Zivilpolizei wollte sich gegenüber »nd« nicht zu dem Fall äußern.
Der Waffenhersteller aus Oberndorf an der Neckar hatte im Jahr 2016 erklärt, nur noch sogenannte »grüne Länder«, also NATO-Staaten oder Staaten, die NATO-Mitgliedern gleichgestellt sind, zu beliefern. Ob Heckler & Koch aber trotzdem weiterhin Waffen nach Brasilien liefert, ist unklar. Auf mehrmalige Anfragen des »nd« reagierte das Unternehmen nicht. Was klar ist: Hunderttausende deutsche Waffen sind weiterhin in Brasilien im Umlauf.
Deutsche Waffen in Brasilien
Waffenlieferung nach Brasilien haben Tradition: In den letzten Jahrzehnten wurden Hunderttausende in das größte Land Lateinamerikas geliefert. Bei der Niederschlagung eines Aufstandes im Carandiru-Gefängnisses in São Paulo wurden im Jahr 1992 111 Gefangene von der Polizei getötet. Die meisten davon wurden mit Maschinenpistolen des Typs MP5 von Heckler & Koch erschossen, die von Deutschland nach Brasilien exportiert wurden. Auch im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft und der Olympischen Spiele wurden viele Kriegswaffen zur vermeintlichen »Befriedigung« der Favelas nach Brasilien exportiert.
Deutschland darf eigentlich nur in Ausnahmefällen Waffen an Drittstaaten wie Brasilien liefern, nämlich wenn im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands für die Genehmigung sprechen. Laut dem letzten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2017 wurden jedoch für die ersten vier Monate des Jahres 2017 37 Einzelausfuhrgenehmigungen in Höhe von fast 11 Millionen Euro erteilt. Auf Anfrage des »nd« äußerte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministerium: »Wir haben einen verantwortungsvollen und restriktiven Umgang mit der Rüstungsexportpolitik. Wir entscheiden im Einzelfall, das orientiert sich an politischen Grundsätzen. Dabei spielt auch die Menschenrechtslage eine große Rolle.«
Doch diese ist in Brasilien katastrophal. Das Land zählt weltweit zu einem gefährlichsten Staaten für Menschenrechtsverteidiger und soziale Aktivisten. Die Gewalt hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2017 wurden mehr als 60.000 Menschen ermordet – so viele wie nie zuvor. Im Interview mit »nd« warnte der Soziologe und Kriminologe Sérgio Adorno jüngst vor einer »Mexikanisierung der Sicherheitslage«. Die staatliche Strukturen würden auch in Brasilien immer mehr durch das organisierte Verbrechen unterwandert. Wie in Mexiko tobt in vielen Bundesstaaten ein offener »Drogenkrieg«. Während es mittlerweile Waffenexportverbote für einzelne mexikanische Bundesstaaten gibt, werden vermutlich nach wie vor deutsche Waffen nach Brasilien geliefert. Deutsche Unternehmen verdienen also wahrscheinlich auch weiterhin kräftig an der Aufrüstung und den kriegsähnlichen Zuständen in vielen armen Nachbarschaften.
»Waffenlieferungen nach Brasilien sind in jeder Hinsicht falsch. Wer Kriegswaffen an die brasilianische Regierung und Waffenfirmen genehmigt, leistet angesichts der Menschenrechtslage Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen und zum Morden«, sagt Jürgen Grässlin, Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!«, dem »nd«. »Die Waffenlieferung sind moralisch verwerflich und rechtlich höchst bedenklich bis rechtswidrig.«
Waffenlieferung nach Brasilien sind nie »sicher«
Auch der Fall der ermordeten Stadträtin Marielle Franco zeigt die gescheiterte Sicherheitspolitik in Brasilien erneut auf. Jüngst veröffentlichte Polizeiermittlungen deuten auf einen Mordkomplott hin, an dem auch Politiker und ehemalige Sicherheitskräfte beteiligt sein sollen. Laut Informationen der Tageszeitung »O Globo« soll ein Zeuge genaue Informationen zu den Auftraggebern und Hintergründen der Tat geliefert haben. Demnach sollen der Stadtrat der Mitte-Rechts-Partei PHS, Marcello Siciliano, und ein ehemaliger Polizist und Anführer einer sogenannten Miliz den Mord in Auftrag gegeben haben. Am Donnerstag bestätigte auch Verteidigungsminister Raul Jungmann, dass gegen die beiden Männer ermittelt wird. Laut Recherchen von The Intercept Brasil könnte ein Polizist der Spezialeinheit BOPE für den Mord verantwortlich sein. Die ermittelnde Mordkommission habe die BOPE aufgefordert, alle Maschinenpistolen des Typs HK MP5 für einen ballistischen Vergleich einzureichen.
Die 38-Jährige schwarze Politikerin war eine der lautesten Stimmen gegen Polizeigewalt und Rassismus in Rio de Janeiro. Franco stammte selbst aus einem Armenviertel, dem Favela-Complex Maré im Norden von Rio de Janeiro. Auch im Westen der Stadt war Franco aktiv und hatte dort immer wieder die Polizei und Milizen kritisiert. Diese kriminellen, paramilitärischen Vereinigungen werden von ehemaligen und aktiven Polizisten, Soldaten und Feuerwehrleuten geführt und kontrollieren viele arme Stadtteile mit Waffengewalt. Laut dem Zeugen, soll Siciliano enge Verbindungen zu einer Miliz gepflegt haben und über den wachsenden Einfluss von Francos Partei, der linken Partei für Sozialismus und Freiheit (PSOL), in der Region verärgert gewesen seien.
Nicht erst die jüngsten Ermittlungen zeigen: Die Grenzen zwischen Politik, Sicherheitskräften und organisiertem Verbrechen sind fließend in Brasilien. Ein Menschenrechtsaktivist, der seinen Namen nicht in einer Zeitung lesen will und aus der gleichen Favela wie die ermordete Stadträtin Franco stammt, berichtet dem »nd«, dass ein Großteil der Drogengangs ihre Waffen direkt von korrupten Polizeibeamten kaufen würden.
Auch die Polizei begeht schwere Menschenrechtsverbrechen. Aktivisten überall im Land berichten von Einschüchterungen, Folter und rechtswidrigen Tötungen. Nirgendwo auf der Welt tötet die Polizei so häufig wie in Brasilien. Opfer ist meist die arme, schwarze Bevölkerung der Vorstädte. Aktivisten sprechen gar von einem »Genozid an der schwarzen Jugend«. Auch das Militär steht aufgrund schwerer Menschenrechtsverbrechen in der Kritik.
Der bekannte Waffengegner Grässlin fordert: »Wir brauchen einen totalen Rüstungsexportstopp, um das Morden, auch mit deutschen Waffen, endlich zu beenden. Vorhandene Kriegswaffen müssen eingesammelt und verschrottet werden.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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