Der Lack blättert ab

Ein Jahr ist Sebastian Kurz ÖVP-Chef und in Wien regt sich erster Widerstand

  • Manfred Maurer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer will, dass seine ÖVP in der politischen Mitte verbleibt. Also schmiedet er trotz des schlechten Wahlergebnisses seines bisherigen grünen Partners lieber ein Bündnis mit ihm und den rechtsliberalen Neos, statt dem Wiener Vorbild zu folgen, und wie Kanzler Sebastian Kurz durch eine Koalition mit der FPÖ stark nach rechts zu driften. Salzburg ist nicht das einzige Bundesland, in dem die ÖVP dem Kurs des am Montag seit einem Jahr amtierenden Parteichefs kritisch gegenübersteht. In Niederösterreich zwang die ÖVP den wegen eines Nazi-Liederbuches seiner Burschenschaft in Verruf geratenen FPÖ-Spitzenkandidaten Udo Landbauer zum Verzicht auf den ihm zustehenden Sitz in der Proporzregierung. Und in Tirol dachte der schwarze Landeshauptmann Günther Platter im Februar ebenfalls keinen Moment an eine Partnerschaft mit den Rechtspopulisten, sondern setzte seine Koalition mit den Grünen fort.

Das Selbstbewusstsein der ÖVP-Landesfürsten ist nicht neu. Es wirkt nur etwas ungewohnt nach der Unterwürfigkeit, mit der die Partei Kurz auf den Schild gehoben hat. Der damals 30-jährige Außenminister hatte seine Parteifreunde nach dem überraschenden Rücktritt des erst zweieinhalb Jahre davor installierten ÖVP-Chefs Reinhold Mitterlehner fünf Tage lang zappeln lassen. Erst nachdem ihm alle Granden eine schriftliche Generalvollmacht ausgestellt hatten, die dem Bundesparteichef ein personelles und inhaltliches Durchgriffsrecht auf allen Parteiebenen sicherte, nahm Kurz die Rolle des Messias an. Kein ÖVP-Chef vor ihm hatte so viel Macht. Die nicht zuletzt mit einem weitgehenden Verzicht auf öffentliche Streitereien einhergegangene Unterwerfung hat sich ausgezahlt. Kurz führte die ÖVP bei der Nationalratswahl im Oktober auf Platz eins, schmiedete mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache schnell eine Koalition - und eroberte das Kanzleramt.

Das macht die Christdemokraten dankbar. Kurz sitzt so fest im Sattel, wie keiner vor ihm. Aber weil die Halbwertszeit der Dankbarkeit, zumal in der Politik, eine kurze ist, mischt sich in die Lobgesänge auf das politische Wunderkind schon hörbares Murren. ÖVP-Vertreter machen in den Bundesländern nicht nur Koalitionen, wie es ihnen gefällt. Sie mucken auch gegen allzu forschen Reformeifer auf. Dabei beginnt das Spiel erst. Der als Reformkanzler angetretene Parteichef hatte wegen der nun abgeschlossenen Landtagswahlserie die Katze noch gar nicht aus dem Sack gelassen. Wenn aber das Versprechen vom nachhaltig sanierten Budget, vom Schuldenabbau und vom Absenken des Abgabenniveaus auf 40 Prozent erfüllt werden soll, wird Kurz seinen Landsleuten reinen Wein einschenken müssen.

Mit der Ankündigung, die derzeit 21 Sozialversicherungsträger auf fünf zu reduzieren, hat er sich schon offene Proteste auch aus konservativ regierten Bundesländern eingehandelt. Die wollen partout nicht dabei mitspielen, wie »ihre« Krankenkassen in den Einflussbereich des Bundes wandern. Die ÖVP-Gewerkschafter haben bereits angekündigt, notfalls auch gemeinsam mit der SPÖ gegen Kurz' Reformpläne zu streiken.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.