Uneinig auf dem Balkan
Nachbarschaftstreffen: Sofia hat zum EU-Westbalkan-Gipfel geladen
Dass das EU-Treffen am Donnerstag in der bulgarischen Hauptstadt Sofia wie geschmiert laufen wird, davon geht wohl keiner der Teilnehmenden aus. Schon vor dem eigentlichen Beginn des Gipfels entspann sich eine Kontroverse über Kosovo - fünf EU-Staaten erkennen das Land zehn Jahre nach seiner Unabhängigkeitserklärung von Serbien nicht an und wollen dies auch bei dem Spitzentreffen deutlich machen. Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und Zypern wollen Abspaltungsbestrebungen keinen Vorschub leisten. Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy sagte seine Teilnahme sogar ab. Spaniens Position hat sich infolge des Konflikts um die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien nochmals verhärtet.
Das Abschlussdokument des Gipfels wolle Rajoy jedoch unterstützen. Nach einem Treffen mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissow am Dienstagabend zeigte sich Rajoy mit der geplanten Abschlusserklärung des Gipfels zufrieden. Sie sei dank Borissows Bemühungen so ausgefallen, dass Spanien sie unterstützen könne. Inhaltlich ist die »Sofia-Erklärung« dünn: Die Gipfelerklärung wurde weichgespült, sodass alle 28 EU-Staaten sie trotz der Differenzen mittragen können. Die EU-Kommission hatte zwar im Februar vorgeschlagen, bis 2025 Länder des Westbalkans Teil der Union werden zu lassen. Die Nennung der Jahreszahl war aber nach Widerstand bei Mitgliedstaaten aus der Gipfelerklärung gestrichen worden.
Das eigentliche Thema des informellen Westbalkan-Gipfels ist eine engere Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den Balkanstaaten Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Albanien und Kosovo. Es soll in Sofia ausdrücklich nicht um EU-Beitritte gehen. Stattdessen sollen Vertreter dieser sechs Länder mit den Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten vor allem die »Konnektivität« verbessern. Das bedeutet einerseits die Zugehörigkeit der Balkanregion zur »europäischen Familie« zu bekräftigen, aber auch die Unterstützung von »gutnachbarlichen Beziehungen«.
Bulgarien, das aktuell den EU-Ratsvorsitz innehat, ist nicht nur geografisch gesehen den Westbalkan-Nachbarn am nächsten. Das Land hat sich das Ziel gesetzt, einen klaren Aktionsplan mit jedem einzelnen der westlichen Balkanstaaten auszuarbeiten. Dabei geht es darum, die Balkanländer untereinander besser zu verknüpfen durch ein transeuropäisches Verkehrsnetz, durch eine gemeinsame Luftverkehrspolitik und durch die Vernetzung der nationalen Energiemärkte. Bulgarien arbeitet kontinuierlich darauf hin, um beispielsweise die Digitalisierungspolitik der EU in den westlichen Balkanländern zu popularisieren durch die stetige Verringerung von Roaminggebühren und den Ausbau der Internet-Breitbandverbindungen.
Von den Ländern des ehemaligen Jugoslawien sind bereits Slowenien (2004) und Kroatien (2013) EU-Mitglieder. Die EU-Kommission stellte für Serbien und Montenegro eine Beitrittsperspektive bis 2025 in Aussicht. Auch Mazedonien und Albanien werden als offizielle Erweiterungskandidaten der EU verhandelt. Eine Rundschau über die Länder zeigt allerdings, dass vor allem die nachbarlichen Beziehungen noch ausbaufähig sind: Serbien ist seit März 2012 Beitrittskandidat. Zwei Jahre lang wurde aber die Aufnahme von Verhandlungen verhindert, weil Belgrad die Unabhängigkeit von Kosovo nicht anerkannte. Nach dem Kosovo-Krieg Ende der 1990er Jahre hatte sich die serbische Provinz 2008 für unabhängig erklärt. Um ein Wiederaufflammen der Spannungen zwischen Serbien und Kosovo zu verhindern, hatte die EU 2013 Verhandlungen vermittelt. 2016 trat ein Assoziierungsabkommen zwischen Kosovo und der EU in Kraft.
Auch der Fahnen-Eklat von Mitte April zwischen Kroatien und Serbien kann auf dem Gipfel noch einmal Thema werden: Vojislav Šešelj, Vorsitzender der rechten Serbischen Radikalen Partei und verurteilter Kriegsverbrecher, hatte bei einem Regierungstreffen die Flagge Kroatiens mit Füßen getreten, was die Ambitionen, mehr Rechte für die Minderheiten im jeweils anderen Land auf Eis legte.
Mazedonien wird indes schon seit Ende 2005 der EU-Beitritt in Aussicht gestellt. Durch den anhaltenden Namensstreit mit Griechenland wurden die Verhandlungen aber blockiert. Griechenland befürchtet wegen seiner Region Mazedonien Gebietsansprüche des nördlichen Nachbarn. Bei den Vereinten Nationen ist das Land deshalb unter dem sperrigen Namen Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien Mitglied. Montenegro ist seit 2010 EU-Kandidat und wurde 2017 NATO-Mitglied. Albanien erhielt im Juni 2014 den Kandidatenstatus. Seit 2009 gehört das Land auch der NATO an. Bosnien-Herzegowina stellte 2016 offiziell den Aufnahmeantrag für die EU. Der anhaltende Streit zwischen den politischen Vertretern der drei Volksgruppen der Kroaten, Serben und Bosniaken sorgt jedoch weiter für Spannungen.
Die westlichen Balkanstaaten haben mit verbreiteter Korruption und ineffektiven Justizsystemen zu kämpfen. Oft verhindern innere und nachbarschaftliche Konflikte die Durchsetzung von Reformen, und auch die Einflussnahme der Regierung auf die Presse und die verheerende Umweltzerstörung durch Tourismusprojekte oder ausländische Investoren führen dazu, dass große Teile der jungen Generation die Region verlassen.
Der nächste Westbalkan-Gipfel soll 2020 in Kroatien stattfinden. Sicher ist: Auch wenn der Westbalkan nicht in die EU kommt, die Menschen dieser Länder sind schon längst da.
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