Wieder im Gespräch

Deutsch-russisches Spitzentreffen in Sotschi / »Westi«: Trump treibt EU zur Annäherung an Moskau

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gebe keine Lösungen ohne einen Dialog, unterstrich Russlands Präsident Wladimir Putin vor der Presse nach seinem Gespräch mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitagnachmittag in seiner Sommerresidenz Sotschi. Die Beziehungen beider Staaten hätten eine eigene Dynamik und eine eigene Bedeutung. Es handele sich hier um Schlüsselpartner.

»Wir haben ein strategisches Interesse daran, gute Beziehungen zu Russland zu haben«, bestätigte Merkel. »Ich halte das Miteinander-Reden für absolut wichtig«, sagte sie. Bei allen Differenzen gebe es »auch Themen, bei denen sind wir durchaus einer Meinung«.

Mit einem Erlass hatte der Präsident unmittelbar zuvor die Zusammensetzung der neuen russischen Regierung bestätigt. Noch am Eingang der Residenz im Schwarzmeerkurort Sotschi bot Dmitri Medwedjew der soeben eingetroffenen deutschen Kanzlerin Zusammenarbeit an.

Angela Merkel hatte aber erst einmal einiges mit dem russischen Präsidenten zu besprechen. Im Vergleich zu US-Präsident Donald Trump sei Putin selbst angesichts komplizierter Beziehungen ein Partner, der von Merkel zu bevorzugen sei, warb das Internetportal gaseta.ru. Die Zeitung »Iswestija« verwies auf eine »Anti-Trump-Stimmung« in der EU.

Es begann mit einem Blumenstrauß. Doch schon am Vormittag informierte Kremlsprecher Dmitri Peskow über einen »wichtigen Besuch in einer schwierigen geopolitischen Situation«. Da war in Sotschi noch kein Wort gewechselt. Solche Gespräche dienten unter den gegenwärtigen Bedingungen dem Uhrenvergleich bei vielen internationalen Fragen wie der Lage in Syrien oder der Ukraine, erklärte er. Hinzu käme die gemeinsame Arbeit an großen internationalen Projekten wie der Erdgasleitung Nord Stream 2. Washington sei der Meinung, so Peskow, diese liege nicht im Interesse der EU. Das sei »eine recht interessante Fragestellung«.

Hier dürfte sich die Kanzlerin als Mittlerin bewährt haben. Die neue Gaspipeline am Grunde der Ostsee werde die Ukraine als Transitland nicht ablösen, versicherte Putin. »Nach dem Start für Nord Stream 2 ist nicht geplant, den Transit von Gas über die Ukraine einzustellen.« Gaslieferungen würden fortgesetzt, »solange diese wirtschaftlich gerechtfertigt sind«.

Auf den vom »Wall Street Journal« berichteten Erpressungsversuch Trumps, einen Verzicht Berlins auf die Gasleitung mit der Aufnahme von Verhandlungen mit der EU über eine neue Handelsvereinbarung zu belohnen, erinnerte man in der Ukraine. Das dortige Internetportal »Telegraf« verwies darauf, dass in politischen Kreisen der USA über Gegenmaßnahmen gesprochen werde, um amerikanische Interessen zu schützen. Merkel werde aber vom Bau der Leitung nicht absehen wollen.

Eine Erinnerung an das gegen die Sowjetunion in den 1960er Jahren verhängte Röhren-Embargo blieb in diesem Zusammenhang der einflussreichen Internetzeitung »gaseta.ru« unter der Schlagzeile »Röhren und Kriege« vorbehalten. Damals beugte sich Bonn und stoppte auf Druck der USA und der NATO deutsche Lieferungen. Nicht mehr so beim Erdgas-Röhren-Geschäft 1982/1983, als die US-Regierung die Lieferung deutscher Röhren gegen Erdgas aus der Sowjetunion nicht mehr zu verhindern vermochte.

»Das Vorgehen Washingtons in der Weltarena treibt Europa immer stärker zu einer Annäherung an Russland«, kommentierte der russische Nachrichtenkanal »Westi«. Die USA würden in letzter Zeit »die Interessen ihrer Verbündeten, insbesondere Europas, absolut ignorieren«. Die Einfuhrzölle für Stahl und Aluminium sowie insbesondere das Vorgehen gegen Iran habe Europa veranlasst, den Ton zu ändern und schließlich zu erklären, die USA seien »bei weitem nicht der zuverlässigste Partner«.

Trumps Vorgehen sei auf die Schwächung der EU gerichtet und deshalb sei es unverständlich, warum die EU bis heute allen transatlantischen Launen folge. Der harte Widerstand der Washingtoner Administration gegen die Erdgasleitung Nord Stream 2 zeige, dass sich die USA faktisch gewaltsam den Weg auf diese oder jene Märkte bahnen wollen.

Kein Zweifel, dass Russland seinen Einfluss auch andernorts zur Abwehr der US-Attacken gegen Iran nutzen wird. So verlautete aus dem Außenministerium in Moskau, dass die einseitigen Sanktionen Thema eines Ministertreffens der BRICS-Staaten am 4. Juni in Südafrika sein werden. Die Teilnehmer der nach den Anfangsbuchstaben ihrer Staaten benannten Vereinigung von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika würden sämtlich recht entwickelte Beziehungen mit der Islamischen Republik unterhalten und gegen die von Washington gegen Teheran angedrohten Strafmaßnahmen auftreten.

Präsident Putin und Syriens Staatschef Baschar al-Assad hatten am Vortag bei einem überraschenden Treffen in Sotschi zur Einleitung eines politischen Prozesses zur Lösung des Syrien-Konflikts aufgerufen. Der »militärische Erfolg« in Syrien erlaube den Übergang zu einem »politischen Prozess«, der zum Abzug ausländischer Truppen und zum Wiederaufbau führen werde.

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