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Manche Mobilisierungsphantasie führt nicht zum Erfolg
Scheinbar völlig unterschiedliche Milieus lassen sich als Wählergruppen erschließen, wenn ihre Gemeinsamkeiten herausgestellt werden
Woran liegt es, dass sich die überwiegende Mehrheitsfähigkeit linker Positionen nicht in besseren Wahlergebnissen wiederspiegelt? Sicher, die meisten traditionellen Medien sind ihr nicht gerade wohlgesonnen; und ja, der »antikommunistische Reflex« trifft die LINKE im Westen immer noch. Aber die traditionellen Medien verlieren an Bedeutung und die Gesellschaft ist in Bewegung geraten, auch politisch. Perspektivisch könnte die Partei sehr viel besser abschneiden. Die LINKE sollte auf das Ziel, bei Wahlen sehr viel besser abzuschneiden, hinarbeiten, anstatt in einem introvertiert-ritualisierten Modus weiterzumachen.
Die neoliberale Propaganda kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesellschaftliche Stimmung geprägt ist von Unsicherheit und Unzufriedenheit über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Will man diese Verhältnisse als Partei wirksam beeinflussen, muss man bei Wahlen erfolgreich sein. Die LINKE sollte darauf hinwirken, dass solche Themen den öffentlichen Diskurs bestimmen, derentwegen sie hauptsächlich gewählt wird. Zugleich muss deutlich werden, dass die Partei die konkreten politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ändern will und kann. Fragen nach der Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstandes und der Lebenschancen stehen als Unterstützungsmotive für die LINKE im Vordergrund. Die Themen um die soziale Sicherheit und den sozialen Ausgleich sind von höchster Relevanz. Debatten darüber finden aber nur sporadisch statt und werden von den Deutungseliten schnell abgewürgt. Die LINKE steht also vor der Aufgabe, eine Dynamik in der Diskussion um soziale Fragen zu erzeugen, die sich nicht mehr abwürgen lässt.
Nach der letzten Bundestagswahl hat sich eine Diskussion darum entwickelt, welche sozialen Gruppen die LINKE repräsentieren sollte. Demnach steht die Partei vor dem Dilemma, zwei Milieus unter einen Hut bringen, die völlig unterschiedliche Lebensweisen haben, sich nichts mehr zu sagen hätten und sich ohnehin gegenseitig verachten würden. Folgt man dieser Analyse, gibt es ein junges und urbanes Milieu, das weltoffen ist, und obwohl es teilweise in prekären Verhältnissen lebt, habe es sich mit den ökonomischen Bedingungen der Globalisierung arrangiert. Man ist hier angeblich frei von Ironie und gefangen in einem Übermaß politischer Korrektheit. Auf der anderen Seite steht demnach ein traditionelleres Milieu. Es ist älter, weist niedrigere formale Bildungsabschlüsse auf und ist häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Hier fühle man sich sozial deklassiert, herablassend behandelt und pflege einen derberen Humor. Die erstgenannte Gruppe läuft der LINKEN scheinbar in Scharen zu, die zweite Gruppe entgleitet der Partei zusehends.
Einig ist man sich in der LINKEN immerhin darin, dass beide von der Partei umworbenen Gruppen dem Kapital ausgeliefert und davon abhängig sind, wie viel ihnen an Lebenschancen und materiellem Wohlstand zugestanden wird. Die LINKE muss den Anspruch haben, beide Milieus zu repräsentieren. Dazu müssen die vorhandenen kulturellen Unterschiede überbrückt werden. Das kann nicht gelingen, indem innerhalb der Linken eine Gruppe über die andere obsiegt und die andere ihren falschen Standpunkt einsieht. Es geht darum, aus der Gemeinsamkeit der strukturellen ökonomischen Abhängigkeit ein verbindendes Element zu machen.
Die Welt im Fluss: Eine grobe und eine feinschnittartige Sichtweise
Die Umbrüche der Globalisierung haben dazu geführt, dass eine Vielzahl von Milieus entstanden ist, die sich in ihren Ressourcen, Netzwerken, Verhaltensweisen und politischen Vorstellungen unterscheiden. Wenn man diese differenzierte Sichtweise im Hinterkopf behält, ist die grobe Unterscheidung der Unterstützer der Linken in den beiden unterschiedlichen Gruppen dennoch zulässig. Wie sonst wären die Zugewinne der LINKEN bei der Bundestagswahl in Universitätsstädten und den Kiezen vieler Großstädte zu erklären? Wie, im Kontrast dazu, die Verluste im Osten und in einigen Bereichen im Westen mit hoher Arbeitslosigkeit?
In der Diskussion wird kaum beachtet, dass viele derjenigen, die der Gruppe der akademischen Städter zugeordnet werden, dem traditionellen Arbeitermilieu entstammen und eine gute Vorstellung davon haben, wie die Menschen aus ihrem Herkunftsmilieu leben. Sie wissen es jedenfalls besser als manche Linke, welche die Arbeiter heute noch in romantischer Verklärung als »Werktätige« bezeichnen. Die verblichene Kraft ihrer Solidarität ist ein linker Sehnsuchtsort ohne reale Existenz.
Das heißt auch, dass diese linke Mobilisierungsphantasie so nicht zum Erfolg führen kann. In der Gesellschaft, auch auf dem fragmentierten und prekarisierten Arbeitsmarkt, dominiert eine »Rette sich, wer kann«- Mentalität. Die neoliberale Ideologie und das daran orientierte politische Handeln haben ganze Arbeit geleistet. Das Ziel, verbindende politische Vorstellungen in den sehr unterschiedlichen Lebenswelten durchzusetzen, darf deswegen nicht aufgegeben werden, denn genau darum geht es: Die Grundlage für eine gruppenübergreifende politische Mobilisierung zu schaffen.
Der neoliberale Kapitalismus bricht seine Versprechen
Beide oben beschriebenen Gruppen leiden unter den falschen Versprechen des neoliberalen Kapitalismus. Soziale Sicherheit und gesellschaftliche Anerkennung bleiben für immer mehr Menschen eine Illusion. Große Teile beider Gruppen haben das Nachsehen gegenüber Privilegierten, die es in ihrem Umfeld auch gibt. Die daraus resultierende Scham, ökonomisch nicht zu den Gewinnern zu zählen, es nicht geschafft zu haben in einem glorifizierten (Schein-)Wettbewerb, ist ein weiterer Baustein des neoliberalen Erfolgs und des linken Dilemmas.
Beide Gruppen haben aber scheinbar einen Ausweg gefunden, indem sie sich auf etwas konzentrieren, das einem niemand nehmen kann: Die Nation, das Deutschsein oder das Zelebrieren der eigenen kosmopolitischen Lebensweise. Diese Identität kann jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt sein und nicht alle, denen die Identifikation mit dem eigenen Land aus Mangel an anderen Identifikationssymbolen wichtig ist, sind für die LINKE unerreichbar.
Die Chance für eine linke Mobilisierung beider Milieus liegt in den Elementen, die beide Gruppen verbinden: Die im Grunde gleiche soziale Lage und die biographischen Wurzeln, die viele Akademiker im Arbeitermilieu haben. Beide Gruppen haben die gleiche Motivation, sich für die LINKE zu entscheiden: Die Unzufriedenheit mit dem herrschenden neoliberalen Kapitalismus.
Politik macht man nicht nur für sich selbst
Der gegenwärtige Streit in der Linken ist von Befindlichkeiten und enttäuschten Erwartungen geprägt. Die Debatte um die Zuwanderung, einschließlich abwegiger Rassismusvorwürfe, dient oftmals als Katalysator. Manche nehmen in dieser Auseinandersetzung eher in Kauf, eine starke Position in einer schwachen Partei einzunehmen als eine Schwächung der eigenen Position zuzulassen, auch wenn dadurch die Partei gestärkt werden könnte. Den Beteiligten sollte klar sein, dass sie eine viel größere Verantwortung haben als nur die für sich selbst.
Der Streit rührt auch daher, dass die LINKE die einzige relevante linke Partei ist. Dies führt zu einem Pluralismus, der sich politisch nur schwer organisieren lässt. Die Charakterisierung der Grünen und der SPD als linke Parteien ist dagegen abwegig. Sie treffen zuverlässig neoliberale Entscheidungen in Grundsatzfragen. Für diese Einsicht muss man nicht bis auf die Etablierung von Hartz IV und Kriegseinsätzen zurückblicken. Man denke an den Fiskalpakt oder die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. SPD und Grüne sind Parteien der politischen Mitte geworden und die steht in Deutschland an der Seite privilegierter Interessen. Weil die LINKE das gesamte linke Spektrum alleine abdeckt, liegt ihr Wählerpotenzial sehr viel höher als die bei der letzten Bundestagswahl erreichten 9,2 Prozent. Als milieuübergreifende politische Sammlungsbewegung kann die LINKE sehr viel erfolgreicher sein.
Dafür müssen Linke zuhören und auch mal etwas aushalten. Rassistischen Positionen muss natürlich vehement entgegengetreten werden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht jedes Gespräch muss auch zu Ende geführt werden. Trotzdem kommt die LINKE nicht umhin, beiden oben angesprochenen Wählergruppen mit Verständnis zu begegnen und deren Gemeinsamkeiten herauszustellen. Dies funktioniert nicht, indem man unterschiedlichen Vorstellungen belehrend oder mit Vorwürfen begegnet. Nur wenn man zuhört, kann man auch erwarten, angehört zu werden.
Dynamik nach außen durch innere Geschlossenheit
Noch gelingt es den neoliberalen Parteien, vielen Menschen den Glauben zu vermitteln, sie gehörten zu den Profiteuren ihrer marktkonformen Politik. Andere hoffen noch, eines Tages dazuzugehören. Diejenigen, die realisieren, dass die Verheißungen der »sozialen Marktwirtschaft« ihnen verwehrt bleiben, werden aber mehr. Die LINKE muss ihre historische Verantwortung erkennen und diesen Menschen ein politisches Angebot machen, das sie auch annehmen können. Dass dies bisher nicht in zufriedenstellendem Maße gelungen ist, liegt nicht an der Programmatik. Ein wichtiger Grund ist die zu geringe Bedeutung linker Kernthemen im gesellschaftlichen Diskurs.
Dass nicht breit und wirksam über solche Themen diskutiert wird, liegt nicht nur am Widerwillen privilegierter Deutungseliten, sondern auch an der mangelnden Phantasie innerhalb der Linken. Es wird allzu oft auf totgerittene Pferde gesetzt, in der Hoffnung, dass die Bevölkerung endlich zur Einsicht gelangt. Der eigene Echoraum in den sozialen Medien wird mit dem öffentlichen Diskurs verwechselt oder als Ersatz für diesen gesehen. Im ersten Fall liegt ein Irrtum vor, im zweiten gibt man sich mit zu wenig zufrieden. Ein weiterer strategischer Fehler ist, dass seitens der LINKEN immer wieder kleinmütig gefordert wird, die SPD solle wieder linker werden und die Grünen sollen sich an ihre Wurzeln erinnern. Richtig wäre es, zu betonen, dass man diese Position selbst wirkmächtig vertreten kann. Hierzu ist auch der Aufbau einer größeren politisch-organisatorischen Substanz nötig, mit einem glaubwürdigen personellen Unterbau von den Kommunen bis auf die Bundesebene und einer breiteren inhaltlicher Expertise. Um dabei voranzukommen, ist die organisationspolitische und programmatische Parteiarbeit mindestens so wichtig wie die parlamentarische Arbeit. Zugkräftiges Spitzenpersonal und eine stimmige Programmatik sind vorhanden. Beim organisatorischen Unterbau besteht Nachholbedarf. Am wichtigsten für den Erfolg sind aber der politische Wille und das Signal, den politischen Erfolg auch zu suchen.
Linke Parteien und Bewegungen in Europa und sogar in den USA haben vorgemacht, dass es möglich ist, mit um die Macht zu kämpfen. Die überwiegende Bescheidenheit linker Führungsfiguren in Deutschland spricht dafür, dass diese noch in alten Denkmustern verhaftet sind. Dabei sollte klar sein, dass die gewohnten Mehrheitsverhältnisse sich gerade radikal ändern, weil die nach den alten Regeln gewachsenen Verbindungen zwischen den gesellschaftlichen Strukturen und den politischen Institutionen nicht mehr gelten.
Um die Chancen, die sich daraus für die LINKE ergeben, nutzen zu können, muss der Umgang untereinander innerhalb der Partei offener und toleranter werden. Standpunkte zu hinterfragen, auch die eigenen, ist eine linke Tugend. Die eigene Sicht der Dinge gegenüber anderen Linken verbittert zu vertreten, ist der falsche Weg. Mit einem respektvollen Umgang und einer solidarischen innerparteilichen Kultur wäre die LINKE nach außen offener und einladender, könnte sehr viel mehr Menschen für sich gewinnen und mit neuer Kraft in die Gesellschaft hineinwirken.
Die LINKE wird erfolgreich sein, wenn sie leidenschaftlich ist, ohne irrational zu werden; wenn sie radikal ist, aber undogmatisch; wenn sie pragmatisch ist, aber prinzipienfest bleibt. Die Linke muss darauf hinarbeiten, glaubwürdig mit einem neuen Ziel in den Wahlkampf zu ziehen: »Wir wollen gewinnen!«
Amira Mohamed Ali und Friedrich Straetmanns sind Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion, Holger Onken war Direktkandidat der Partei zur Bundestagswahl im Wahlkreis Friesland-Wilhelmshaven-Wittmund
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