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Auferstanden aus der Flut

Fischerdorf in Niederbayern wurde vor fünf Jahren von einem Jahrhunderthochwasser heimgesucht

  • Ute Wessels, Deggendorf
  • Lesedauer: 4 Min.

Hochwasser und Schlamm sind längst weg. Die Spuren der Jahrhundertflut in der niederbayerischen Stadt Deggendorf scheinen beseitigt. Und doch erinnert im Ortsteil Fischerdorf alles an die Tage im Juni 2013, als der Damm an der Isar brach und das durch tagelangen Regen aufgestaute Wasser freien Lauf hatte. Es flutete Straßen, Häuser und die Autobahn - bis zu vier Meter hoch. Eine gewaltige Katastrophe, bei der es auf wundersame Weise keine Toten gab.

Fünf Jahre später gibt es in dem Ort Neubauten anstelle zerstörter Häuser. Stehengebliebene Gebäude sind frisch gestrichen, Straßen weitgehend repariert, Spiel- und Fußballplatz erneuert. Fischerdorf ist auferstanden - der gleiche Ort und dennoch ein anderer.

500 Millionen Euro in Hochwasserschutz investiert

München. Seit dem Jahrhunderthochwasser 2013 hat Bayern mehr als 500 Millionen Euro in neue Hochwasserschutzanlagen investiert. Zusätzlich seien für Reparaturen an beschädigten Schutzanlagen bis Ende 2017 rund 129 Millionen Euro ausgegeben worden, teilte Umweltminister Marcel Huber (CSU) anlässlich des fünften Jahrestages der Flutkatastrophe mit.

Anfang Juni 2013 hatte tagelanger Regen in Deggendorf und Passau ein Rekordhochwasser ausgelöst. Bayernweit entstanden, so Huber, Schäden in Höhe von 1,3 Milliarden Euro. An die Opfer seien direkt danach 200 Millionen Euro Sofort- und Aufbauhilfen ausbezahlt worden. »Jeder Euro davon ist gut angelegtes Geld. Ein in Vorsorge investierter Euro verhindert sieben Euro Schäden.« So sei der linke Isardeich zum Schutz der besonders gefährdeten Menschen im Deggendorfer Ortsteil Fischerdorf für 30 Millionen Euro neu gebaut worden.

Um Bayern wasserfest zu machen, sollen 2018 weitere rund 200 Millionen Euro für den Hochwasserschutz ausgegeben werden. Das sei eine Jahrhundertherausforderung in Zeiten des Klimawandels. Dennoch könne niemand eine hundertprozentige Sicherheit vor Naturgefahren garantieren. Die Wassermassen hätten 2013 vielen Menschen enormes persönliches und materielles Leid gebracht, sagte Huber, der als Umweltminister vor Ort war. Er erinnerte an die rund 100 000 Helfer, die bis zur totalen Erschöpfung die Deiche verteidigt hätten. Durch den Ausbau des Hochwasserschutzes seien seit 2013 zusätzlich 70 000 Einwohner vor Hochwasser geschützt worden. Aktuell liefen im Freistaat rund 250 Baumaßnahmen. Schwerpunkt sei die Donau in Niederbayern. 2018 sollen allein für den Hochwasserschutz zwischen Straubing und Vilshofen 70 Millionen Euro ausgegeben werden. dpa/nd

Eines der neuen Häuser gehört Rosalie und Joseph Straßer. Modern und hell ist es. Ein Jahr nach der Flut sind die Straßers eingezogen. Mit Heizöl verschmutztes Hochwasser hatte das alte Haus unbewohnbar gemacht. Es wurde abgerissen. Auf ihrem Grundstück durften sie wegen der Nähe zur Isar nicht neu bauen und bekamen von der Stadt ein Ausgleichsgrundstück etwas weiter im Ortsinneren.

Ob sie sich hier heimisch fühlen? Nun, in dem alten Haus sei er 1951 geboren worden, sagt Straßer. Er sei dort aufgewachsen und habe immer dort gelebt. Etwas abgelegen sei es gewesen. »Idyllisch.« Trotz der Autobahn, die nebenan gebaut wurde und trotz des Lärms, den diese mit sich brachte. Rund um das neue Grundstück ist inzwischen viel gebaut worden. Spielplatz, Moschee, Kindergarten - ständiger Trubel. »Da hinten hatten wir unsere Ruhe«, sagt er und deutet in Richtung Isar.

Ein noch so schönes neues Haus ist eben nicht gleich ein Zuhause - zumal wenn Erinnerungsstücke fehlen. Das ist spürbar, wenn die Straßers erzählen. »Wir sind ja zufrieden hier«, sagt die 65-Jährige. Aber: »Es ist eben nicht die Heimat.« Sie schluckt.

Auch das Haus von Rosemarie und Dietmar Seidel war in der Flut untergegangen. In einem Ordner haben sie Zeitungsartikel darüber gesammelt, eine Luftaufnahme ihres überschwemmten Grundstückes ging um die Welt. Das Haus ließen sie wieder so aufbauen, wie es vorher war. Beim Rundgang durch den Garten zeigen sie, wie hoch das Wasser stand. An der Hecke sind noch Schäden sichtbar.

Geblieben ist dem Paar so gut wie nichts. Das ölige Wasser hat alles zerstört. Lediglich die Fotos, die im Obergeschoss an der Wand hingen, konnten die Seidels retten. Den Straßers geht es ähnlich. Die alten Alben mit den schönen Erinnerungsfotos sind kaputt. Stattdessen zeigen sie ein Album mit Bildern ihres verwüsteten Zuhauses.

Josef Straßer hat als Feuerwehrkommandant immer wieder Hochwasser erlebt. »Wie oft haben wir Dammwache geschoben«, sagt er. Fischerdorf liegt zwischen Donau und Isar. Die Menschen waren an Überschwemmungen gewöhnt. Aber dass es einmal so dramatisch kommen würde, das habe sich niemand vorstellen können.

Die Anwohner seien an jenem 4. Juni aufgefordert worden, ihre Häuser zu verlassen, erinnern sich die Straßers. Die heute 65-Jährige trug wichtige Dokumente in den ersten Stock und legte sie auf einen Tisch - nicht ahnend, dass sogar der noch untergehen würde. Sie verließ Fischerdorf, während ihr Mann noch das Haus abzudichten versuchte. Dann kam das Wasser. »Ich habe es gerade noch ins Auto geschafft«, sagt er. »Ich wusste: Hier kann ich nichts mehr tun.«

Und heute? »Verdrängen kann man das nicht«, sagt Straßer. »Das war einfach zu viel.« Der Ort habe sich verändert, ergänzt seine Frau. Neid habe es gegeben angesichts der Versicherungszahlungen und Spenden. Die Leute hätten sich beäugt, wer wie groß baut. »Das war ein bissl ein Konkurrenzkampf.« Das berichten auch andere Anwohner.

Angst vor einer neuen Flut scheinen die wenigsten Fischerdorfer zu haben. Der Ortsteil boomt. Gut 170 Hausbesitzer hatten einen Antrag auf Neubau nach Abbruch ihres alten Haues gestellt, sagt eine Sprecherin der Stadt. Von den Hochwasseropfern zogen nur wenige weg und einige Neu-Fischerdorfer kamen dazu.

Die Erweiterung des Hochwasserschutzes soll 2018 weitgehend abgeschlossen sein, wie Michael Kühberger, der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes, mitteilt. Rund 70 Millionen Euro seien in dem Gebiet dafür ausgegeben worden. Der Damm wurde erhöht und soll nun einem hundertjährlichen Hochwasser standhalten.

Fünf Jahre nach der Flut sei auch der Wiederaufbau von Fischerdorf weitgehend beendet, sagt Oberbürgermeister Christian Moser (CSU). Einige Straßen müssten noch saniert werden. Gerade bei Familien sei das Interesse an Bauplätzen groß: »Momentan können wir dort keine Baugrundstücke anbieten.« Dass es Neid unter Nachbarn gab, ist auch dem Rathauschef nicht verborgen geblieben. Für ihn steht aber der Zusammenhalt im Fokus, wie sich die Menschen damals gegenseitig geholfen haben. Und auch, wie sich der Ort entwickelt hat. So hätten sich Vereine in einem neuen gemeinsamen Vereinsheim zusammengetan.

Fischerdorf hat sich erneuert, ist moderner und städtischer geworden. Rosalie Straßer bilanziert: »Vorher war das hier ein Dorf. Jetzt ist es ein Stadtteil.« Und das kann man gut oder schlecht finden. dpa/nd

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