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Freifahrtschein für Pipelinebagger
Greifswalder Richter lehnen Baustopp für Nord Stream 2 ab und betonen Interesse an Gas
Es sei ein schwarzer Tag für den Naturschutz, wenn den privatwirtschaftlichen Interessen des Pipelinebauers Nord Stream 2 Vorrang vor dem Schutz bedrohter Arten und Lebensräume eingeräumt werde: So kommentiert NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller die jüngst getroffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Greifswald gegen den Eilantrag des Naturschutzbundes. Der hatte argumentiert, die Gasleitung von Russland nach Deutschland werde der empfindlichen Meeresumwelt in der Ostsee irreparable Schäden zufügen.
Auch zum Verfahren, in dessen Verlauf das umstrittene Vorhaben genehmigt worden war, gibt es seitens des NABU Einwände. Zu ihnen äußerte sich das Gericht jetzt noch nicht, müssten doch »zahlreiche schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen« geklärt werden, so das OVG. Dies soll im »Hauptsacheverfahren« geschehen, auf das die Naturschützer noch Hoffnung setzen.
Parallel zur 1224 Kilometer langen Erdgaspipeline Nord Stream, die seit November 2011 jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Sibirien in die EU liefert, soll bis 2019 für etwa 7,4 Milliarden Euro eine Leitung mit gleicher Länge und Kapazität verlegt werden: Nord Stream 2.
Viele Tausend Stahlrohre, jedes zwölf Meter lang und gut einen Meter im Durchmesser aufweisend, wurden und werden in Sassnitz-Mukran auf Rügen mit Beton ummantelt, damit sie sicher auf dem Meeresboden liegen. Sie sollen zusammengefügt die Pipeline bilden, die am Grund der Ostsee durch die Wirtschaftsräume von fünf Staaten führt. Finnland hat dem Bau bereits zugestimmt, ebenso Deutschland, wo die Pipeline auf rund 85 Kilometern die Ostsee durchquert. Die Genehmigungen von Dänemark, Russland und Schweden stehen noch aus. haju
Die Ablehnung des Eilantrages aber dürfte solchen Optimismus dämpfen, lässt das Gericht doch erkennen, welch hohen Wert es der Energieversorgung beimisst. Das öffentliche Interesse an ausreichend Erdgas überwiege gegenüber den Belangen des Gewässer-, Gebiets- und Artenschutzes, befand das OVG. Es erinnert an die im behördlichen Planbeschluss zum Pipelinebau getroffene Aussage, das Vorhaben leiste »einen wichtigen Beitrag zur Deckung des in der Bundesrepublik Deutschland und der EU ab 2020 prognostizierten Erdgasimportbedarfs von 30 Milliarden Kubikmetern«.
Mit Blick auf diese Vorhersage reagiert der NABU: Es sei erstaunlich, dass das Gericht den überholten Argumenten des Unternehmens Nord Stream 2 zur Energiesicherheit folge, anstatt auf führende Energieexperten zu hören. Etwa auf Fachleute des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, welche die Gaspipeline für energiepolitisch falsch halten.
Die gleiche Ansicht vertritt Mecklenburg-Vorpommerns Grünen-Vorsitzender Johann-Georg Jaeger. Die Stromproduktion von Atom- und Kohlekraftwerken solle durch regenerative Energien ersetzt werden und nicht durch Erdgas, forderte der Landesvorsitzende der Ökopartei in der »Ostsee-Zeitung« und meint: »Offenbar stützen die Richter ihre Entscheidung auf einen prognostizierten Erdgasbedarf für das Jahr 2020, ohne die Prognose kritisch zu betrachten.«
Kritische Worte in Richtung OVG Greifswald sendet auch der World Wide Fund For Nature (WWF), der die juristischen Schritte des NABU fachlich und finanziell unterstützt. »Entsetzt« sei er über den Spruch aus Greifswald, bekundet der Leiter des WWF-Ostseebüros, Jochen Lamp. Er befürchtet: »Wenn man bei wirtschaftlich wichtigen Vorhaben zunächst den Schaden zulässt und ernsthafte Prüfungen erst stattfinden, wenn Umweltschäden nicht mehr repariert werden können, verschlechtert man Naturschutzstandards gravierend.«
Aufregung in punkto Naturschutz und Pipeline hatten seit Pfingsten zahlreiche Schmierfettklumpen am Ostseestrand ausgelöst. Ursache war die Leckage eines Baggerschiffs, das am Meeresboden den Graben für die Gasrohre vorbereitet. Laut Pipelineunternehmen, so das Schweriner Umweltministerium, seien bis zu 145 Kilo Fett in den Greifswalder Bodden gelangt. Die Projektgesellschaft veranlasste die Reinigung des betroffenen Gebietes und stellte die Baggerarbeiten ein. Sie sollen erst wieder aufgenommen werden, wenn nach Untersuchung aller in der Ostsee eingesetzten Baggerschiffe sichergestellt ist, dass sich ein Vorfall wie der Fettaustritt nicht wiederholt.
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