Weniger Tupfer vergessen
Medizinischer Dienst fordert Melderegister für Behandlungsfehler
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat im vergangenen Jahr 13 519 Gutachten zu möglichen Behandlungsfehlern erstellt. Die MDK-Fachärzte bestätigten jeden vierten Behandlungsfehlerverdacht (24,7 Prozent). In jedem fünften Fall (19,9 Prozent) stellten sie fest, dass die Schädigung des Patienten durch den Fehler verursacht wurde. Zwei Drittel der untersuchten Fälle bezogen sich auf stationäre Behandlungen, vor allem auf operative Eingriffe.
Das sind weniger Fälle als in den Vorjahren. Allerdings werde nur ein Bruchteil der Behandlungsfehler abgebildet, betonte Max Skorning, Leiter der Stabsstelle Patientensicherheit beim MDK, am Dienstag in Berlin anlässlich der Vorstellung der Jahresstatistik. Viele Schadensansprüche würden ohne Einbeziehung der Krankenkassen durch Schlichtungsstellen der Ärztekammern sowie durch Gerichts- und außergerichtliche Schlichtungsverfahren reguliert. Zudem würden »die meisten möglichen Behandlungsfehler nicht gemeldet, da sie von Patienten entweder nicht als solche erkannt oder als belastend empfundene Verfahren gescheut werden«, so Skorning. Aufgrund von Hochrechnungen geht der MDK davon aus, dass lediglich drei Prozent aller Fälle aktenkundig werden.
Der MDK fordert daher ein zen- trales Melderegister für alle in Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen aufgetretenen Behandlungsfehler. Nur so könnten weitere Fortschritte bei der Prävention erzielt werden. Als positives Beispiel nannte Skorning die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz. Die für Arbeitsunfälle aller Art geltende Meldepflicht sei ein wichtiger Baustein für die Analyse und Überwindung von Risiken gewesen und habe letztendlich zu einem deutlichen Rückgang von schweren Arbeitsunfällen geführt. Die Erfahrungen aus den USA, Großbritannien und den Niederlanden machten deutlich, dass auch eine Meldepflicht für Behandlungsfehler zu deren Reduzierung beitragen könne.
Auch Patientenschützer fordern ein Zentralregister für Behandlungsfehler und Pflegefehler, um mehr Transparenz zu schaffen. »Fehler ist Fehler«, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Es müsse Schluss damit sein, dass Krankenkassen, Ärztekammern und Gerichte Fehler nebeneinanderher sammelten. Viele Patienten warteten zudem seit Jahren auf einen Härtefallfonds, der bei tragischen Fällen schnell hilft.
Der stellvertretende Geschäftsführer des MDK, Stefan Gronemeyer, nannte die Jahresbilanz »ernüchternd«. Man sehe Jahr für Jahr »die gleichen Fehler, und vor allem Fehler, die eigentlich nie passieren dürften« vom im Körper vergessenen Tupfer bis hin zu Verwechslungen von Patienten. Auch die immer wieder auftretenden Druckgeschwüre bei längeren Liegezeiten seien vermeidbar. Gerade in der »modernen, komplexen Hochleistungsmedizin« mit ihren stark verdichteten Abläufen komme der systematischen Fehlerprävention eine große Bedeutung zu.
Enttäuscht äußerte sich Gronemeyer über die neue Bundesregierung. Der Koalitionsvertrag enthalte »keinerlei Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit«, sondern lediglich eine vage Ankündigung, die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für betroffene Patienten zu prüfen. Es liegt auf der Hand, dass bestimmte Lobbygruppen wie Klinikbetreiber wenig Interesse an Melderegistern haben, da sie um den Ruf ihres Unternehmens fürchten. Daher setze man auf dieser Seite eher auf möglichst geräuschlose Lösungen durch individuelle Entschädigungen, meist verbunden mit einer umfassenden Schweigeverpflichtung der Geschädigten. Auch die Versicherungen veröffentlichen keine Daten über von ihnen regulierte Fälle.
Die MDK-Vertreter appellierten an alle von möglichen Behandlungsfehlern Betroffene, sich an ihre Krankenkasse zu wenden. Diese sind nach dem Patientenrechtsgesetz verpflichtet, den Versicherten zu helfen und ein kostenfreies Gutachten durch den MDK erstellen zu lassen. Die Kassen begleiten dann auch das weitere Prozedere.
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