- Sport
- Deutsche Nationalmanmnnschaft
Die unendliche Geschichte
Das deutsche WM-Team macht sich mit unnötigem Ballast auf den Weg zur Titelverteidigung
Der türkische Taxifahrer öffnete am späten Freitagabend freundlich die Türen. Auch eine vergleichsweise kurze Fahrt von der Haltestelle Leverkusen-Mitte bis zum Parkplatz am Chempark war ihm genehm, obwohl es nach einem Länderspiel in einer ausverkauften BayArena sicherlich lukrativere Touren gegeben hätte. Dass die deutsche Nationalmannschaft zuvor mit Ach und Krach gegen Saudi-Arabien (2:1) gewonnen hatte, hatte der Mann am Radio mitverfolgt. Und so entwickelte sich bald eine angeregte Diskussion über den Fußball, die WM und das Leben. Nur als es um seine Meinung zu Mesut Özil und Ilkay Gündogan und ihren Besuch beim türkischen Staatspräsidenten Recey Tayyip Erdogan ging, herrschte plötzlich Funkstille. Leichtes Grummeln. Langes Schweigen. Schwieriges Thema.
Vor allem für den Weltmeister. Vor der Abreise nach Russland kocht die Debatte um die beiden türkischstämmigen Nationalspieler wieder hoch. Joachim Löw konnte vor der Einwechslung von Gündogan bei der WM-Generalprobe noch so sehr das Publikum zur Unterstützung auffordern: Die lauten Pfiffe drangen gefühlt übers nahe gelegene Flüsschen Dhünn bis in den Leverkusener Stadtpark.
Iran - Litauen 1:0 (0:0)
Kroatien - Senegal 2:1 (0:0)
Schweiz - Japan 2:0 (1:0)
Deutschland - Saudi-Arabien 2:1 (2:0)
Polen - Chile 2:2 (2:1)
Lettland - Aserbaidschan 1:3 (0:1)
Ungarn - Australien 1:2 (0:0)
Estland - Marokko 1:3 (0:2)
Finnland - Belarus 2:0 (1:0)
Serbien - Bolivien 5:1 (4:0)
Schweden - Peru 0:0
Dänemark - Mexiko 2:0 (0:0)
Spanien - Tunesien 1:0 (0:0)
Frankreich - USA 1:1 (0:1)
»Das hat mich schon geschmerzt«, sagte der enttäuschte Bundestrainer: »Wenn ein Nationalspieler ausgepfiffen wird von der Einwechslung über alle Aktionen bis zum Ende, dann gefällt mir das natürlich nicht.« Er könne das auch nur schwer nachvollziehen. »Ilkay hat gesagt, dass er sich absolut mit den Werten von Deutschland und den Werten, wie wir hier leben, identifiziert, dass er keine politische Botschaft senden wollte«. Irgendwann müsse auch mal Schluss sein. Löw sah in der Kabine einen »geknickten« Gündogan: »Man sieht, dass ihn das beschäftigt. Da muss er jetzt einfach durch. Ich hoffe, dass er das kann.«
Ähnliche Unmutsäußerungen hätten sicher auch Mesut Özil erreicht, der wegen einer Knieprellung nicht zum Einsatz kam. Der eine bat beim Verlassen der Arena um Verständnis, nichts sagen zu wollen (Gündogan), der andere machte sich wortlos davon (Özil). Immerhin twitterte der 27 Jahre alte Gündogan am Samstag: »Letztes Spiel vor der Weltmeisterschaft und immer noch dankbar, für dieses Land zu spielen.« Der Mittelfeldspieler von Manchester City hat sich für eine eher offensive Kommunikation entschieden, während der Spielmacher des FC Arsenal auf die strikt defensive Strategie setzt. Der 29-Jährige glaubt, mit dem Besuch beim Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier genügend Abbitte geleistet zu haben.
Offenbar scheint aber die Macht der Bilder mit Überreichen eines - im Fall Gündogan sogar handsignierten - Trikots am 14. Mai ans türkische Staatsoberhaupt zu erdrückend. Der Schluss liegt nahe, dass mit dem Erdogan-Fotoshooting in London mehr kaputt gegangen ist, als viele denken. Auch DFB-Präsident Reinhard Grindel, der das Thema bereits bei der Kadernominierung im Dortmunder Fußballmuseum herunterdimmen wollte, kommt mit Beschwichtigungen dieser Art nicht weiter: »Beide haben das Recht, wenn sie für Deutschland kämpfen, von Deutschland unterstützt zu werden.« Und selbst der ansonsten instinktsichere Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff hat das feine Gespür der Anhängerschaft falsch eingeschätzt. Im Vorlauf der Fernsehübertragung aus Leverkusen fuhr der DFB-Direktor ARD-Moderator Alexander Bommes wegen Nachfragen harsch an: »Ihr bringt es doch jeden Tag wieder, weil ihr keine Themen habt.« Aber: Aussitzen hilft bei diesem Thema nicht mehr. Und totschweigen erst recht nicht.
Liga-Präsident Reinhard Rauball rügt das Krisenmanagement: »Das Thema ist in der Tat unterschätzt worden. Und ich glaube auch, dass man es nicht alleine mit den Maßnahmen und Erklärungen, die bisher erfolgt sind, aus der Welt schaffen kann.« Der richtige Zeitpunkt für eine solche Maßnahme sei »entweder schon vorbei oder sehr schwer nachzuholen«. Rauball fürchtet gar, dass das Thema »dauerhaften Schaden bei den beiden Sportlern hervorruft«. Auf jeden Fall ist für die Mission Titelverteidigung unnötiger Ballast an Bord, wenn am Dienstag LH 2018 Richtung Moskau startet.
Die deutsche Delegation hofft, dass sich die mitreisenden 62 541 Fans auf die Unterstützung beschränken. Sicher ist das nicht. Die Mitspieler der gebürtigen Gelsenkirchener appellierten daran, die beiden nicht auszugrenzen, sondern einzugliedern. »Ab jetzt bitte ich die Leute einfach darum, daran zu denken, dass wir Weltmeister werden wollen, und dafür brauchen wir den Illy ebenso wie den Mesut«, erklärte Stürmer Mario Gomez.
Auch der Taxifahrer in Leverkusen hatte kurz vor dem Ausstieg noch etwas zu Gündogan und Özil zu sagen. »Sie sind Menschen.« Sollte wohl heißen: Menschen machen Fehler.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.