• Politik
  • Polizeispitzel gegen britische Linke

Großbritannien streitet um Spycops-Affäre

Die Kosmetikkette »Lush« forderte in einer Werbekampagne Aufklärung der Unterwanderung linker Strukturen

  • Christian Bunke
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Werbekampagne einer auf ethisch produzierte Naturkosmetikprodukte spezialisierten Firma schlug in den vergangenen Tagen in Großbritannien große Wellen. Alle 104 Filialen der Firma »Lush« zeigten das Plakat eines Polizisten mit der Aufschrift: »Bezahlt um zu lügen«. Darunter wurden im Schaufenster Absperrungsstreifen mit dem Slogan »die Linie wurde überschritten« aufgeklebt. Das i-Tüpfelchen waren Boxen mit dem Schriftzug: »Spitzel-Polizisten raus aus unserem Leben«.

Letzteres ist der Slogan einer Kampagne welche sich seit vielen Jahren um die Aufklärung eines der größten Polizeiskandale der vergangenen Jahrzehnte bemüht. Seit 1968 hat das bei der Londoner Metropolitan Police Force angesiedelte »Special Demonstration Squad (SDS)« rund 1000 verschiedene Organisationen infiltriert. Die Bandbreite reicht von Gewerkschaften über linke und sozialistische Parteien bis hin zu Umweltschutz- und Tierrechtsgruppen.

Die Polizisten des SDS überschritten dabei zahlreiche Linien. Für ihre gefälschten Identitäten mussten tote Kinder herhalten. Als Teil ihrer Unterwanderungsarbeit gingen die Geheimpolizisten langjährige Beziehungen ein, die teilweise sogar in Ehen mündeten. Derart bespitzelte Aktivistinnen und Aktivisten hatten mitunter jahrzehntelange Beziehungen mit den Polizisten und gemeinsam mit diesen Kinder.

Damit nicht genug. Das SDS arbeitete eng mit antigewerkschaftlichen Strukturen britischer Unternehmen zusammen. Die durch ihre Schnüffelarbeit erworbenen »Erkenntnisse« landeten direkt auf den Schreibtischen zahlreicher Personalabteilungen, vor allem aber bei weitem nicht nur in der Bauindustrie. Das führte zum Aufbau einer schwarzen Liste, mit der Zehntausenden Gewerkschaftern über Jahrzehnte die Ausübung ihres Berufes unmöglich gemacht wurde.

Seit 2015 soll eine vom einem Richter geleitete öffentliche Untersuchung Licht in die Sache bringen. Dieses Jahr hätten schon Ergebnisse vorliegen sollen. Tun sie aber nicht, da die Polizei mit allen Mitteln selbst Ansätze von Transparenz verhindert. So sind die allermeisten Tarn- und Klarnamen der Spitzelpolizisten bis heute unbekannt, Aufklärung wird so verunmöglicht. Jetzt soll erst im Jahr 2023 ein erster Untersuchungsbericht vorliegen.

Die Werbekampagne von »Lush« wollte helfen diesen Prozess etwas zu beschleunigen. Der Staatsapparat reagierte darauf äußerst empfindlich. Der konservative Innenminister Sajid Javid nannte sie in einer Stellungnahme eine »nicht akzeptable Verunglimpfung unserer hart arbeitenden Polizei.«

Zahlreiche Lush-Filialen bekamen in der vergangenen Woche ungebetenen Besuch von ehemaligen Polizisten in Zivil welche die dort arbeitenden Beschäftigten in »freundliche Gespräche« über die Werbekampagne verwickelten.

Die britische Polizeigewerkschaft rief zum Boykott der Firma auf und organisierte eine Hetzkampagne in den sozialen Medien. Der Druck wirkte: Um die eigenen Beschäftigten zu schützen wurden die polizeikritischen Sujetbilder über das Wochenende aus den Schaufenstern entfernt.

Gewirkt hat die Aktion dennoch. Das Thema erhält Aufmerksamkeit wie nie zuvor. Selbst die Hochglanz-Frauenzeitschrift »Elle« widmete den Spycops eine große Reportage. Online sollten die Leser ihre Meinung über »Lush« äußern. Das Ergebnis: 88 Prozent befürworten die Werbeaktion. Mit ihrem Druck hat die Polizei ein Eigentor geschossen.

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