Mit der Digitalkamera auf den Spuren des Romantikers
Fotocollagen des japanischen Künstlers Hiroyuki Masuyama erwecken Bilder von Caspar David Friedrich zu neuem Leben
Der Markt von Greifswald wirkt auch nach 600 Jahren irgendwie unverändert, blendet man die Eiscafés, Bioläden und Schuhgeschäfte einfach mal aus. Das mittelalterliche Rechteck wird geprägt von einem stilgerecht restaurierten Ensemble aus gotischen Giebelhäusern, dem alten Rathaus im original ochsenblutfarbigen Anstrich von 1340 und dem barocken Dachreiter. Dahinter erhebt sich der Dom St. Nikolai in mustergültiger Backsteingotik, dessen Ziegel in der Sonne wie Rubine glitzern. Fast wie zur Hansezeit. Alles erinnert an stolze Patrizier, die einst durch Tuch, Pelze, Salz und Honig steinreich geworden waren.
Als Caspar David Friedrich (1774- 1840) vor zweihundert Jahren auf diesem Platz stand, um ihn zu zeichnen, sah er ihn kaum anders. Das Rathaus hatte zwar seine knallige Farbe verloren. Wenn aber der Besucher von heute hier die Lange Straße perspektivisch in den Blick nimmt, steht er ziemlich genau dort, wo der Maler 1818 auch stand, als er die Skizzen für sein Aquarell »Greifswalder Markt« anfertigte.
Der Mann mit dem blonden Backenbart und den buschigen Augenbrauen befand sich damals gerade auf Hochzeitsreise, um seine junge Frau, die Dresdner Bürgerstochter Caroline Bommer, seiner Familie vorzustellen. Er wollte ihr seine Geburtsstadt Greifswald und die Landschaft seiner Heimat - Wolgast, Stralsund, Rügen - zeigen, die sie bis dahin nur von seinen Gemälden kannte. Richtig romantisch dürfte es nicht zugegangen sein. Denn für Carolines Gatten war es vor allem eine Geschäfts- und Zeichenreise, auf der einige seiner berühmtesten Werke entstanden.
Anlässlich der 200. Wiederkehr der Flitterreise baute sich kürzlich auch der Fotokünstler Hiroyuki Masuyama am historischen Ort auf. Allerdings nicht mit Bleistift und Skizzenblock wie der Altmeister, sondern mit der Digitalkamera. Masuyama übernimmt Gemälde und Stil des Altmeisters, verwendet aber die Technik der digitalen Fotografie mit allen Möglichkeiten der Bearbeitung von Pixelgrafiken. Wie Friedrich, der seine Skizzen erst im Atelier zu Ideallandschaften zusammensetzte, nimmt Masuyama Hunderte Fotos auf und komponiert sie am Computer zur Fotocollage, quasi eine Friedrich.2018. Sonst ist alles wie auf den Ölbildern des Romantikers - dieselbe Jahreszeit und dasselbe Wetter, die Ausschnitte und die Anordnung der Personen. Sogar die Größe entspricht der historischen Vorlage.
»Meine Fotoarbeiten und seine Gemälde stimmen nur anscheinend überein«, sagt der in Düsseldorf lebende Japaner. Was ihn interessiert, ist das Kunstprojekt, in dem das Spannungsverhältnis zwischen Gegenwart und Vergangenheit zum Vorschein kommt. »Zu Friedrichs Zeiten gab es keinen Strom und keine Handys«, sagt der Künstler, der seit Langem auf den Spuren des norddeutschen Romantikers wandelt. Aber es gebe Dinge, die über Jahrtausende Bestand hätten, wie etwa Schönheit und Liebe.
Ein anderes Fotoshooting führte Masuyama in den Greifswalder Museumshafen, ein Fußweg von zehn Minuten vom Markt entfernt. Auf einem alten Holzschoner stellte er das Gemälde »Auf dem Segler« nach, ein Ölbild, auf dem das in Liebe einander zugewandte Brautpaar dargestellt ist. Das Pärchen, das vor der Kamera in der exakten Pose Modell stand, war zuvor bei einem deutschlandweiten Wettbewerb gefunden worden und wurde selbst am 13. Juni im Nationalpark Jasmund getraut. Welcher Hafen für die Szene tatsächlich Vorbild war, ist allerdings umstritten. Es könnten auch Vierow an der Boddenküste oder vielleicht Wolgast sein. Eine Reise in die Herzogstadt am Peenestrom lohnt aber, weil man dort Friedrichs Künstlerfreund Philipp Otto Runge begegnen kann. In dessen Geburtshaus werden in der neu eröffneten Ausstellung zwar keine Originale gezeigt, doch man kann dem Künstler menschlich sehr nahe kommen.
Mit dem Schiff setzten Friedrich und Caroline auch nach Rügen über. Die Kreideküste war sein erstes Ziel, wo er die Entwürfe für »Kreidefelsen auf Rügen« herstellte. Mit seinem 1818 gemalten Bild verlieh der Romantikmeister dem von Erosion bedrohten Felsen ewige Berühmtheit. Wenn man das Kunst gewordene Heiligtum erreicht, lässt es sich erst kaum erkennen, weil Wind und Wetter den Wissower Klinken mittlerweile zum Kümmerling gestutzt haben. Und wer weiß, wie er damals wirklich aussah? Denn Friedrich bildete ja die Wirklichkeit nicht ab, sondern montierte sie. »Der Felsen war sehr, sehr schwierig«, gibt Masuyama zu, er brauchte mehrere Anläufe dafür. »Friedrich malte ein Bild in zwei Monaten«, sagt er. Er benötige manchmal weit mehr.
Masuyamas Fotocollagen erwecken die Hochzeitsreise von Caspar David und Caroline in Vorpommern nun zu neuem Leben. Insgesamt fertigte er zweiundzwanzig Arbeiten an den Originalschauplätzen an, alles Stationen der sechswöchigen Flitterreise. Die Ausstellung seiner Friedrich-Interpretationen ist ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr und ab dem 13. Juni, dem Ankunftstag der Postkutsche in Greifswald, an drei Standorten zu sehen. Die Spurensuche führt ins Pommersche Landesmuseum Greifswald, ins Nationalparkzentrum Königsstuhl auf Rügen sowie in die Galerie »Circus eins« in Putbus, wo der größte Teil der Fotocollagen ausgestellt ist.
Dem berühmten Romantiker auf die Spur kommt man gleich in Greifswald auf dem Caspar-David-Friedrich-Bildweg. Er führt zu 15 Stationen der Lebens- und Wirkungsorte des Malers, so zur Geburtsstätte, in der sich das Caspar-David-Friedrich-Zentrum und die Werkstätten der väterlichen Kerzenmacherei und Seifensiederei befinden, zur Taufkirche St. Ni᠆kolai und zur Universität, in der sein Zeichenlehrer und Förderer Johann Gottfried Quistorp lehrte.
Im etwas außerhalb von Greifswald liegenden Eldena steht das wohl bekannteste Monument und Wahrzeichen der Romantik: Die Klosterruine Eldena, ein Lieblingsmotiv Friedrichs. Selbst wenn kein Nebel aufsteigt oder dicke Wolken drohen, geht von den alten Backsteinen die typische mystische Friedrich-Stimmung aus. Auf der in diesem Jahr eröffneten Fahrradroute »Norddeutsche Romantik« hat man den Ort von Greifswald aus in 30 Minuten erradelt. Die 54 Kilometer lange Strecke führt auch zu den Originalschauplätzen der anderen vorpommerschen Romantiker wie Philipp Otto Runge und Friedrich August von Klinkowström.
Infos
Am 31. August geht die Masuyama-Ausstellung zu Ende. Am selben Tag kehrten auch Caspar David Friedrich und Caroline nach Dresden zurück - vor 200 Jahren.
Ausstellung »200 Jahre Hochzeitsreise« von Hiroyuki Masuyama, fotografische Arbeiten zu Caspar David Friedrich an drei Standorten: Hauptausstellung in der Galerie »Circus eins« in Putbus, vom 13.6.–26.8.18 Bildpräsentation »Der Greifswalder Markt mit der Familie Friedrich 1818/2018« im Pommerschen Landesmuseum, Greifswald, vom 13.6.–31.8.18 Bildpräsentation »Kreidefelsen auf Rügen 1818/2018« im Nationalpark-Zentrum Königsstuhl vom 16.6.–31.8.18
Internet: https://www.vorpommern.de/ aktivitaeten-in-vorpommern/ genussundkultur/romantik/200-jahre-hochzeitsreise/ausstellungen/
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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