»Geisterbahn auf Monatskarte«

Zehn Jahre fahrerlose U-Bahn in Nürnberg

  • Lesedauer: 3 Min.

Nürnberg. Irritiert reagieren allenfalls Touristen - für Pendler ist das Ganze schon lange kein Gesprächsthema mehr: Seit zehn Jahren rollen in Nürnberg etliche U-Bahnen vollautomatisch durch den Untergrund. Statt eines Fahrers steuert ein komplexes Zusammenspiel von Computern, Sensoren und Detektoren die Züge - der Platz hinter der Frontscheibe gehört neugierigen Fahrgästen. Und die stellen beim Blick in die Tunnelröhre oft erstaunt fest: Nürnbergs U-Bahnnetz gleicht auf einigen Abschnitten einer kurvenreichen Berg- und Talbahn. »Geisterbahn auf Monatskarte«, frotzeln manche Nürnberger.

Leicht war der Weg dahin nicht. Im Stadtrat der fränkischen Metropole ist die Automatik-U-Bahn bis heute umstritten. Vor allem die Grünen thematisierten bis zuletzt die hohen Kosten für die Automatisierungstechnik auf der neuen U-Bahn-Linie 3 und der U2. Die waren seinerzeit mit 110 Millionen Euro nicht gerade ein Pappenstiel.

Der frühere Projektleiter Andreas May ist von der Entscheidung für die Automatik-U-Bahn dennoch bis heute überzeugt: »Wir haben einen guten Weg beschritten - vor allem zum richtigen Zeitpunkt«. Die Verkehrs Aktiengesellschaft (VAG) hatte damals den anstehenden Bau der U-Bahnlinie 3 genutzt, um diese als fahrerlose Strecke auszubauen. Seit 2009 fahren auch Züge der Flughafen- U-Bahnlinie 2 ohne Fahrer durch Nürnbergs Untergrund.

Umso mehr überrascht selbst Fachleute, dass bisher keine deutsche Stadt dem Beispiel Nürnbergs gefolgt ist. Ein Grund sind nach Experteneinschätzung wohl auch die hohen Kosten für die Technik: Die muss so sensibel gestrickt sein, dass sie etwa eine achtlos auf die Gleise geworfene Zeitung von einem ins Gleisbett gestürzten Fahrgast unterscheiden kann.

Allerdings dürfte Nürnbergs Alleinstellung in diesem Punkt schon bald enden. Denn Hamburg will seine neue U-Bahnlinie 5 auf der gesamten Länge vollautomatisch betreiben. Anders als in Nürnberg sollen in der Hansestadt allerdings Servicemitarbeiter die fahrerlosen Züge begleiten und sich um die Fahrgäste zu kümmern. Eine Umrüstung der bestehenden U-Bahn-Strecken sei nicht geplant. Das wäre zu teuer, sagt ein Sprecher der Hamburger Hochbahn AG.

Anfängliche Ängste mancher Nürnberger Fahrgäste, eine computergesteuerte U-Bahn garantiere nicht die Sicherheit wie ein von Menschenhand dirigierter Zug, hat der Betreiber VAG schon bald zerstreuen können. Seit dem Start im Juni 2008 haben die vollautomatisch betriebenen U-Bahn-Züge Millionen von Kilometern nahezu unfallfrei zurückgelegt.

Ohne Kinderkrankheiten und die eine oder andere kritische Situation ging es dennoch nicht ab, wie May einräumt. Doch diese würden von zahllosen Vorteilen der »Robo-Züge«, wie sie einmal die »Zeit« nannte, vielfach aufgewogen. Bei Großveranstaltungen könnten schnell mal zusätzliche Züge eingesetzt werden, ohne Fahrer aus dem Feierabend holen zu müssen. Und dank der modernen Technik rollten die Bahnen zumindest auf der Stammstrecke im 100-Sekunden-Takt. In wirtschaftlicher Hinsicht schließlich dürfte sich das Projekt in gut zwei Jahren amortisiert haben. dpa/nd

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