Naziaufmarsch statt Tanztheater

In Wuppertal ärgern sich Gegendemonstranten über genehmigte Route und wegen des Vorgehens der Polizei

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund um Sarah, die am Samstagnachmittag auf dem Geschwister-Scholl-Platz vor dem Haus der Jugend in Wuppertal steht, wird es immer lauter. Je näher die Neonazis kommen, desto entschlossener werden die »Nazis raus!«-Rufe. Eigentlich wollte die junge Wuppertalerin auf dem Platz sitzen und den Vorführungen eines Tanztheaters zusehen. »Meine Schwester macht da mit«, erzählt sie. Doch die Abschlussveranstaltung des Projektes »tanz, tanz… wir«, bei der das Pina-Bausch-Tanztheater mit Jugendlichen und jungen Geflüchteten zusammengearbeitet hat, muss an diesem Samstag ausfallen.

Die Veranstalter sahen nämlich ein zu hohes Risiko in dem Aufmarsch von bekennenden Neonazis, der direkt vor ihrer Tür entlang gehen sollte. Adolphe Binder, die Intendantin des Tanztheaters, sprach im Vorfeld von einer »Fürsorge- und Sorgfaltspflicht«, die sie gegenüber den Kindern und Jugendlichen habe. Die »Traumata« der beteiligten Flüchtlingskinder könnten im Angesicht eines großen Polizeiaufgebots und möglicher Auseinandersetzungen »getriggert werden«.

Die Absage des Theaterprojektes und eines Schulfestes sorgte allerdings bei vielen Menschen in Wuppertal für einen Jetzt-erst-recht-Effekt. Sarah, die ein Pappschild mit einer Anti-Nazi-Parole hochhält, erzählt, sie sei »noch nie auf einer Demo« gewesen. »Dass die Nazis hier demonstrieren wollen, wusste ich vor einer Woche noch nicht«, sagt sie. Die Stimmung beim Protest beschreibt sie als sehr emotional.

Eine Reiterstaffel und die gepanzerten Polizisten – das hat Sarah bisher noch nicht gesehen. Die Situation vor dem Haus der Jugend ist hitzig, als der Aufmarsch vorbeizieht. Mit zwei Reihen haben sich die Polizisten vor den Nazigegnern aufgebaut. Neben den Anti-Nazi-Parolen wird immer wieder die Lebensgeschichte der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano und ihr Zitat, »Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah«, aus lauten Boxen abgespielt.

Die Neonazis antworten auf den Protest mit der Parole: »9 Millimeter für linkes Gezeter!« Es ist nicht die einzige faschistische Aussage bei dem Aufmarsch der im Jahr 2012 gegründeten neonazistischen Kleinstpartei »Die Rechte«. Diese hat ihren Hauptsitz in Dortmund und zählt etwa 600 bis 650 Mitglieder. Einer der Schwerpunkte ihrer Aktivitäten ist Nordrhein-Westfalen. In Wuppertal selbst entsendet die Partei aber bislang kein Mitglied in den Stadtrat. Hier wurde der rechte Rand in den vergangenen Jahren von der AfD sowie von der Bürgerbewegung pro NRW abgedeckt.

Der erste Redner des Aufmarschs sprach davon, dass man »seit 1933« ein eindeutiges Programm gegen Minderheiten habe. Ein anderer Redner sprach von »der alten Geldmacht«, deren Namen er »nicht nennen dürfe«. Aber im Kreis der »Kameraden« wisse sicher jeder, welcher »Parasit« gemeint sei. Es handelte sich also um lupenreine NS-Verherrlichung und Antisemitismus, die der Aufmarsch von knapp 100 Neonazis unter den Augen der Polizei verbreiten konnte.

Die Polizei hatte sich allerdings auch schon im Vorfeld des Aufmarsches nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Die Routenführung direkt am Haus der Jugend entlang hatte für Kritik aus der gesamten Wuppertaler Zivilgesellschaft gesorgt. Damit dürfte die Polizei - ohne dies eigentlich beabsichtigt zu haben - dem Gegenprotest einen Schub gegeben haben. Viele Menschen sprachen davon, dass sie gekommen seien, weil sich die Polizei vor dem Aufmarsch schlecht verhalten habe. Warum die rechte Demonstration nicht per Auflage eine andere Wegstrecke bekommen hat, war für die Nazigegner unverständlich.

Unter den Kritikern des Polizeieinsatzes sind auch sozialdemokratische Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags, die seit der Landtagswahl im Mai vergangenen Jahres Teil der Opposition gegen die Regierung aus CDU und FDP sind. Eine Szene, die sich im bunten Protest rund um den Geschwister-Scholl-Platz ereignete, sorgte bei dem SPD-Innenpolitiker Andreas Bialas für besonderen Unmut. Thomas L., der Geschäftsführer einer Wuppertaler Behörde, wurde von Polizeibeamten zu Boden gerungen und in Gewahrsam genommen. Die Polizei behauptet, er sei zuvor einem Platzverweis nicht nachgekommen. Bialas stellte ein Video des Vorfalls auf seine Seite im sozialen Netzwerk Facebook und kündigte an, im Innenausschuss des Landtags diese und andere polizeiliche Handlungen im Zuge des Naziaufmarsches thematisieren zu wollen.

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