Nur wenige Homosexuelle bemühen sich um Entschädigung
Die Gründe für die bisherige Zurückhaltung vieler Betroffener sind vermutlich Traumatisierung, Scham und hohes Alter
Frankfurt am Main. Die Entschädigung verurteilter Homosexueller läuft nur langsam an. Im ersten Jahr seit der Verabschiedung des Gesetzes zur Rehabilitierung Homosexueller bemühten sich lediglich 99 Verurteilte beim Bundesamt für Justiz um finanzielle Wiedergutmachung, wie die Behörde dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Die Bundesregierung aus Union und SPD war zum Zeitpunkt des Gesetzbeschlusses davon ausgegangen, dass bis zu 5000 Homosexuelle, vor allem schwule Männer, von der Neuregelung profitieren würden.
Die meisten Anträge auf Entschädigung kamen mit jeweils 18 Fällen aus Nordrhein-Westfalen sowie aus Bayern. Es folgten Berlin mit 14 und Baden-Württemberg mit elf Gesuchen. In Brandenburg wurden bislang ein Antrag auf Rehabilitierung und drei Anträge auf Entschädigung gestellt, in Sachsen-Anhalt zwei Anträge. Den Justizbehörden in Thüringen und Sachsen sind keine konkreten Zahlen bekannt. Gezahlt wurden bislang bundesweit insgesamt 333 000 Euro an Entschädigung, wie das Bundesamt mit Sitz in Bonn erklärte.
Insgesamt 74 Anträge wurden den Angaben zufolge bewilligt. Drei Gesuche wurden abgelehnt, unter anderem weil ein Antragsteller keine Haftstrafe verbüßt hatte, sondern in Untersuchungshaft saß. Bei den übrigen Anträgen steht in den meisten Fällen noch eine Rehabilitierungsbescheinigung aus. Diese müssen Betroffene, die keine Ausfertigung ihres Urteils mehr haben, bei der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft beantragen.
Das Bundesamt für Justiz sieht darin eine mögliche Ursache für die relativ niedrige Zahl an Anträgen. »Nach meiner persönlichen Einschätzung sind viele Betroffene traumatisiert und wollen womöglich nicht an die Staatsanwaltschaft herantreten, die sie damals angeklagt hat«, sagte Behördensprecher Thomas Ottersbach. Einige hätten, um sich vor Diskriminierung zu schützen, seinerzeit geheiratet und Kinder bekommen und wollten diese Identität wahren. Andere lebten in Pflegeheimen und hätten die Nachricht über das neue Gesetz vielleicht nicht mitbekommen oder seien gesundheitlich nicht mehr in der Lage, sich um eine Antragstellung zu kümmern, erklärte Ottersbach.
Der Bundestag hatte am 22. Juni 2017 beschlossen, dass die ergangenen Urteile aufzuheben und die Betroffenen zu entschädigen sind. Der Bundesrat verabschiedete das Gesetz dann wenige Tage später. In Kraft trat es zum 17. Juli 2017. Homosexuelle, die nach 1945 wegen einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs verurteilt wurden, können seitdem rehabilitiert werden.
Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle wurden in der Bundesrepublik bis zum Jahr 1969 rund 50 000 Männer wegen ihrer Sexualität verurteilt. Dann wurde der Paragraf entschärft, aber erst im Jahr 1994 komplett abgeschafft. Dem Rehabilitierungsgesetz zufolge erhalten die Betroffenen nun eine Entschädigung in Höhe von 3000 Euro, wenn das Urteil aufgehoben wird. Haftstrafen werden mit 1500 Euro pro Jahr entschädigt. epd/nd
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