Wo lukrative Exportaufträge winken

Bundesregierung will federführend bei Maßnahmen gegen Plastikmüll sein und spricht von Hysterie

  • Hermannus Pfeiffer, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Stehen die Weltmeere für Katastrophen wie die Überfischung, für brennende Ölplattformen und Meeresmüll? Oder bieten Ozeane die Chance, viele globale Probleme zu lösen? Die Meere sollen das Weltklima retten, den Energiebedarf der Menschheit decken, die globalen Ernährungsprobleme reduzieren und den Rohstoffhunger stillen, den neue Technologien hervorrufen. Doch solche Nutzung gab und gibt es nicht zum Nulltarif. »Die Belastung der Meere mit anthropogenem (menschgemachtem, d. Red.) Müll wird mittlerweile als eines der wichtigsten Umweltprobleme unserer Zeit wahrgenommen«, ist Stefanie Wagner vom Umweltbundesamt überzeugt. Ganz oben auf der Problemliste stehe Plastikmüll - vom Strohhalm über Funktionskleidung bis hin zum Autoreifen.

Das Problem entsteht bereits an Land. Schätzungsweise 380 Millionen Tonnen Kunststoff wurden 2015 weltweit hergestellt - in den 1950er Jahren waren es jährlich erst zwei Millionen Tonnen. Von den Plastikabfällen werden heute laut dem Industrieländerclub OECD 15 Prozent gesammelt und zu Sekundärkunststoffen weiterverarbeitet. Der überwiegende Teil landet jedoch auf ungesicherten Mülldeponien oder wird von Konsumenten irgendwohin geworfen und endet letztlich in den Gewässern. »So ist die Verbreitung von Plastik zu einem drängenden Problem nicht nur für die Gesundheit jedes Einzelnen, sondern für den Planeten insgesamt geworden«, heißt es in einem neuen OECD-Bericht.

»Der Zahn der Zeit nagt zwar auch am Plastik - aber zu langsam«, erklärt Frank Wendland vom Forschungszentrum Jülich. Von Meereswellen zerschlagen, von Licht oder Sauerstoff zersetzt, entsteht aus Makroplastik Mikroplastik: Krümel kleiner als fünf Millimeter, die Menschen mit dem bloßen Auge oft gar nicht erkennen können, aber mitessen, mittrinken und einatmen.

Ein Großteil des Mikroplastiks entsteht an Land - etwa über den Abrieb von Autoreifen oder in Waschmaschinen: Wenn Fleecejacken gewaschen werden, lösen sich winzige Partikel und landen im Abwasser. Über die verschiedenen Flüsse gelangt der Plastikmüll schließlich in die Ozeane und verteilt sich unsichtbar im Wasser und auf dem Meeresgrund. In den sichtbaren »Müllstrudeln«, die häufig im Fernsehen und Internet gezeigt werden, sammelt sich lediglich 0,5 Prozent des Plastikmülls.

»Mikroplastik lässt sich nicht mehr zurückholen«, mahnt die Heinrich-Böll-Stiftung. Die Lösung liegt also an Land. In der Folge rücken die Weltmeere stärker in das Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit. Davon zeigte sich auch die scheidende Präsidentin des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), Monika Breuch-Moritz, auf dem 28. Meeresumwelt-Symposium ihres Hauses überzeugt, wo dieser Tage 400 Fachleute aus dem ganzen Bundesgebiet in Hamburg zusammentrafen. Die BSH-Chefin warnte gleichzeitig davor, die Entwicklung zu negativ zu sehen. Es habe sich schließlich weltweit vieles zum Guten gewendet: Einleitverbote in die Flüsse wurden ausgebaut, Auflagen für Tourismus, Schifffahrt und Offshorebauten »zeigen Wirkung«, und selbst beim Abwracken von Frachtern tue sich was. Umweltorganisationen wie NABU oder Greenpeace teilten auf dem Hamburger Symposium diesen Optimismus allerdings nur bedingt.

In Sachen Plastikmüll sollen G7- und G20-Aktionspläne sowie Initiativen in EU und UNO Abhilfe schaffen. Die Bundesregierung sieht sich in einer »federführenden Rolle«. Allerdings seien »dicke Bretter zu bohren«, mahnte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Florian Pronold. Wie er dies machen will, angesichts der unterschiedlichsten Interessenlagen, ließ er allerdings im Vagen.

Der Regierungspolitiker sorgt sich um eine Verengung des Blickwinkels. Während in Deutschland eine »Mikroplastik-Hysterie« grassiere, lägen die großen Probleme woanders: 90 Prozent des Plastikmülls in den Weltmeeren stammen aus zehn großen Flüssen in Asien und Afrika, hat das Helmholtz-Zentrum UFZ in Leipzig herausgefunden. Statt die vergleichsweise gute Umweltsituation in Europa weiter zu verbessern, sei es zweckmäßiger, einen Großteil der Mittel in Entwicklungsländern einzusetzen. Dazu, so BSH-Chefin Breuch-Moritz, müsse man die Wirtschaft mit ins Boot holen, auch die deutsche: Auch bei der Verhinderung von Plastikmüll winken lukrative Exportaufträge.

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