Jenseits von John Wayne
Im Neo-Western »The Rider« geht es um Krankheit, Sinnkrisen und archaische Männlichkeitsideale
In ihrem Debütfilm »Songs My Brother Taught Me« aus dem Jahre 2015, den sie weitestgehend mit Laiendarstellern gedreht hat, erzählt die chinesische Regisseurin Chloé Zao die Geschichte von zwei Sioux-Indianern in einem Reservat. Diese beschreiben eine fiktionalisierte Version ihres eigenen Lebens. Diesen ungewöhnlichen Regiestil behielt Zhao auch in ihrem mehrfach ausgezeichneten Neo-Western »The Rider« bei.
Erzählt wird in unaufgeregtem Tempo die wahre Geschichte von Brady (herausragend gespielt vom echten Brady Jandreau), einem nach einem Rodeo-Unfall schwer verletzten Cowboy, dem plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird, als seine Ärzte ihm eröffnen, dass er nie wieder ein Pferd besteigen darf. Denn im amerikanischen Heartland wird ein Mann daran gemessen, wie gut er sich auf einem Pferderücken hält.
»Wir kennen diese Welt ja weitgehend nur aus der Sicht der Verzerrung und der Dämonisierung als Trumps Wählerbasis«, sagte Werner Herzog 2017 sehr treffend in seiner Laudatio auf den nach ihm benannten Filmpreis.
Erstaunlich ist, wie tief die in Beijing geborene Regisseurin in das Leben im Indianerreservat im Südwesten des US-Bundesstaates South Dakota eintaucht und wie es ihr mit ihrer Truppe von begabten Laiendarstellern, die sich selbst spielen, gelingt, unter die raue Schale der Macho-Cowboys zu blicken.
Bradys männliches Selbstwertgefühl ist stark angekratzt, deshalb will der sture Naturbursche zunächst an seinem Traum festhalten: Die frankensteinartige Narbe auf seinem Kopf, seine sich beim Reiten verkrampfende Hand sowie aufsteigende Übelkeit machen ihm jedoch immer wieder deutlich, dass er von den Pferden lassen sollte. Ein Selbstmord kommt für ihn nicht infrage, da er sich für seine geistig behinderte Schwester (Lily Jandreau), seinen alleinerziehenden, spielsüchtigen Vater (Tim Jandreau) und seinen nach einem Unfall beim Bullenrodeo an den Rollstuhl gefesselten Kumpel (Lane Scott) verantwortlich fühlt.
Weder seine Familie noch seine Freunde können ihm bei seiner Sinnkrise helfen. So raten ihm seine Kumpel, die kaum mehr im Leben besitzen als ihre Pferde und ihre Reitkunst, recht hilflos, sich nicht von seinem Handicap besiegen zu lassen und schnellstmöglich wieder aufs Pferd zu steigen.
Dennoch heuert der Naturbursche zunächst in einem Supermarkt an. Wer den Lakota-Sioux-Indianer stoisch Haarshampoo in die Regale des Konsumtempels einräumen sieht und nicht von einer Woge des Mitgefühls überschwemmt wird, dem ist nicht zu helfen.
Im extremen Gegensatz dazu stehen die von Kameramann Joshua James Richards aufgenommenen Panoramaaufnahmen der unendlich weiten Prärie.
Dass Brady die Ratschläge der Ärzte schon bald in den Wind schießt und sich wieder aufs Pferd schwingt, wundert einen nicht. Doch bei einem Ausritt mit einem als unreitbar geltenden Hengst, den der über erstaunliche Pferdeflüsterer-Qualitäten verfügende Brady gezähmt hat, landet er ohnmächtig im Gras.
Nun ist er endgültig gezwungen, sich zu entscheiden, ob er sein Leben für ein zementiertes Männlichkeitsideal opfern oder nach einem neuen Sinn im Leben - jenseits von John Wayne - Ausschau halten will.
»The Rider«, USA 2017. Regie/Buch: Chloé Zao; Darsteller: Brady Jandreau, Lily Jandreau, Tim Jandreau. 104 Min.
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