Totes Meer

Zu Gundermanns Poesie

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

Sieh dir mal die schönen Sachen an: Die kann man alle noch gebrauchen. Und was man wirklich nicht mehr essen kann, das lässt sich doch noch rauchen.« Larmoyanz war Gerhard Gundermanns Sache nicht; seine Poesie hatte zwei Seiten, eine warme und eine Eisenseite. Gerade dass die Zuversicht aufgenötigt blieb, macht ihre Kraft aus. »Eine kleine leise Traurigkeit« bringt das in acht Zeilen zusammen: rauhe Umstände, innere Traurigkeit, Umschlag ins Heitere. Das Lied steht mit seiner unsagbaren Schönheit neben kosmischen Griffen wie »Septembermorgen« oder »Ein Gleiches«.

Poesie arbeitet naiv, ihr Zugriff auf den Weltstoff ist unmittelbar. Es geht um die Fähigkeit, eine Sache zu treffen, die man vielleicht gar nicht begriffen hat. Gundermanns Lieder sind ihrem Schöpfer über den Kopf gewachsen. Ihr großes Thema ist der Einbruch des Kapitalismus in die geordnete Welt.

Das persönliche Verhältnis wurde zur Metapher. »Mein Vater wird alt und schwer, und sein hohes Ross hat ihn lange abgeworfen. Ich hasse ihn heute nicht mehr, aber wir sind auch keine Freunde mehr geworden.« Schon vor dem Ende der DDR hieß es: »Vater, du fragst dich, wenn du fällst: Wer wird mit der Fahne gehn? Vater, du wüsstest es, hättest du dich ab und zu umgesehn.«

Der Kommunist sah sich als Krieger. Später richtet sich der Wunsch, gebraucht zu werden, auf Arbeitswelt und Poesie. »Und ich weiß nicht, ob ich noch springen kann bis an eine Kehle. Und ich weiß nicht, ob ich noch singen kann bis in eine Seele.« Gundermanns drittes Album nimmt Kurosawas Film »Die sieben Samurai« auf und damit das Verhältnis von Kommunismus und Arbeiterklasse: »Für kleine Leute machen wir die großen Taten, den kleinen Leuten ist vor starken Männern bang, die kleinen Leute ham uns oft verraten, ja, unsereiner lebt nicht lang.«

Niemand hat mit lyrischen Mitteln besser erfasst, was die Totverwandlung des Sozialismus bedeutet. »Und mein Bagger, der stirbt in der Heide.« Die sogenannten blühenden Landschaften sind das Moos, das heute auf rostigem Stahl wächst. »Vom Wind verweht ist auch der Ruß, die ganze dicke Schicht. Heut verheizen sie hier Giftmüll, und das Gift, das sieht man nicht.« Gesittung und Produktivität gehen im Kapitalismus getrennt. Früher waren Schutzengel für Bergarbeiter »Mangelware«, heute drängeln sie sich »am sauberen Himmel«. Arbeitslosigkeit erscheint als »Frühstück für immer«. Man verhungert nicht, doch das Leben hat seine Richtung verloren. Die Utopie ist nur im Rückgriff zu haben. »Weit hinter uns lag das blaue, blaue Meer, und vor uns lag das tote.«

»Krieg« behandelt den sich fremd gewordenen Klassenkampf, dessen Zweck den Menschen erst wieder klar wird, als sie die Macht aus der Hand gegeben haben. »Dickes Ende« erzählt vom Fadeout der Utopie, worauf ihr vollständiges Wiederaufleben folgen muss: »Und wenn ich nicht mal mehr liegen kann, fang ich eben wieder an zu fliegen.« Die griffige Formel des Kommunismus lautet: »Aber alle oder keiner.«

In einer Zeit, in der »deutsch« einfach »westdeutsch« bedeutet, haben DDR-geprägte Stoffe es schwer. Heute, 20 Jahre nach seinem Tod, wäre es angezeigt, Gundermanns Poesie umfassend aufzuschlüsseln.

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