- Politik
- LINKE in Sachsen-Anhalt
Die Dorfversteher
Sachsen-Anhalts LINKE trifft sich erstmals zu einem »Mitmach-Parteitag« auf dem Land
Mario Zanirato ist kein unzufriedener Bürgermeister. Der Ortschef von Benndorf im Mansfelder Land regiert eine Gemeinde, in der man trotz mustergültig sanierter Straßen finanziell »noch atmen« kann; wo man froh ist, in den 1990ern nicht in »beleuchtete Äcker«, sondern in die kommunale Wohnungsgesellschaft mit ihren 800 Wohnungen investiert zu haben; und wo man sich am Titel einer energetischen Modellkommune erfreut. Am Bahnhof halten regelmäßig Züge, es gibt Schule und Kita, und im Gemeinderat wird »keine Parteipolitik« gemacht. Alles paletti also im Dorf? Zanirato winkt ab. Von seinem Etat kann er nur ein mickriges Prozent für »freiwillige Aufgaben« ausgeben: die Kultur, Sport, Vereine. Wenn es nicht so viel Engagement im Ehrenamt gäbe, sagt er, »könnten wir zumachen«. An der Politik des CDU-Finanzministers lässt er kein gutes Haar. Sie sei Beleg dafür, »wie weit sich die Landespolitik von der Basis entfernt«.
An diesem Samstag freilich ist die Landespolitik an die ländliche Basis gekommen - in Gestalt eines Parteitags der LINKEN, die sich verstärkt um die Regionen außerhalb der großen Städte kümmern will. Sie folgt damit einem Trend, der seit der Bundestagswahl im Herbst 2017 bei Parteien bundesweit zu beobachten ist und Gründe in einer dramatischen Wählerwanderung hin zur AfD hat. »Viele Bürger haben das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren«, sagt Angelika Klein, LINKE-Politikerin und Landrätin von Mansfeld-Südharz, »und dazu zählen sie inzwischen auch die LINKE«. Bei der Kommunalwahl, die in Sachsen-Anhalt am 26. Mai 2019 stattfindet, droht ein weiterer Ruck in Richtung Rechtspopulismus. »Wenn der ländliche Raum weiter vernachlässigt wird«, warnt LINKE-Kreisvorsitzende Carola Kunde, »gehen einige gesellschaftliche Rechnungen nicht mehr auf.«
Ihre Partei nimmt sich der Aufgabe an - kommt aber zunächst als Lernende. »Wir wollen uns Rat holen«, sagt Landesparteichef Andreas Höppner, der indes bestens im Stoff steht: Er ist Ortsbürgermeister von Kloster Neuendorf, einem 450 Einwohner zählenden Ortsteil von Gardelegen. Unabhängig davon aber, ob die Delegierten vom Dorf oder aus Magdeburg kommen: Es kann nichts schaden, sich die Problemlagen aus erster Hand schildern zu lassen. Dazu haben sich die Genossen für einen Parteitag der anderen Art entschieden: ihren ersten »Mitmachparteitag«. An die Stelle von Antragsdebatten und Aussprachen zu Leitanträgen treten in Benndorf vier Podien, bei denen Experten aus ihrem Alltag berichten: ein Landarzt, der aus Mangel an einem Nachfolger auch im Rentenalter weiter praktiziert; die Chefin der Kinderfeuerwehr Bernburg, die schon unter Sechsjährigen für Nachwuchs in dem lebenswichtigen Bereich wirbt; der Vertreter des Fußballvereins FC Hettstedt, der »Heimathafen« für 87 Kinder ist und einheimische Kicker mit Flüchtlingen zusammen bringt; ein Unternehmer, der für Jobs außerhalb der großen Stadt sorgt und berichtet, wie schwierig es ist, Lehrlinge zu finden; oder die Bürgermeisterin eines Ortsteils der Stadt Arnstein, der durch die Gemeindegebietsreform im Land alle Gestaltungsspielräume verlor: Sie sei jetzt nur noch »Zuträgerin« für den Rathauschef der Hauptgemeinde, klagt Margret Hebecker aus Wiederstedt: »Das befriedigt nicht.« Ihr eigenes Budget beläuft sich auf lediglich einen Euro pro Einwohner.
Es sind dies alltägliche Folgen einer Politik, die auch in Magdeburg gestaltet wird und in Manchem »vom Kopf auf die Füße gestellt« werden müsse, sagt Höppner: »Menschen auf dem Land sollen die gleichen Perspektiven haben wie die in der Stadt.« Er wirbt für Gleichberechtigung zwischen Metropolen und Peripherie: »Die Dörfler sollen in die Oper kommen und die Städter zum Erntedankfest.« Anregungen dafür, wie die Politik dabei helfen könne, habe der Parteitag geliefert: »Wir sind nicht alle Dorfversteher geworden«, sagt er, »aber klüger auf jeden Fall.«
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