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Nur so ein Gefühl

Die PR-Kampagne der Grünen trieft nur so vor inszenierter Nahbarkeit. Aber genau darum geht es bei Wahlkampagnen: Nicht um Inhalte sondern ein Gefühl.

Die Küchentisch-Kampagne der Grünen trieft nur so vor inszenierter Nahbarkeit. Aber genau darum geht es bei Wahlkampagnen: Nicht Inhalte, sondern ein Gefühl soll vermittelt werden.
Die Küchentisch-Kampagne der Grünen trieft nur so vor inszenierter Nahbarkeit. Aber genau darum geht es bei Wahlkampagnen: Nicht Inhalte, sondern ein Gefühl soll vermittelt werden.

Wir Politikjournalisten, die sich den lieben langen Tag mit dem politischen Betrieb beschäftigen, sind oft blind dafür: Bei der Frage, wo Wählerinnen ihr Kreuz setzen, geht es oft nicht wirklich um politische Inhalte. Nicht alle Menschen haben die Zeit und Lust, Wahlprogramme zu studieren oder sich das ganze Jahr über mit dem politischen Zirkus auseinanderzusetzen. Sehr häufig ist dagegen die Frage entscheidend: Mit welchem Parteiimage kann ich mich eigentlich am besten identifizieren?

Auch die Parteien wissen um diesen Umstand, und genau an diesem Punkt kommt die Wahlkampagne zum Abschluss des Wahlkampfes ins Spiel. Im Prinzip funktioniert sie wie eine Werbekampagne für ein Produkt, nur soll die Kundschaft nicht zum Kauf einer Schokolade manipuliert werden, sondern zum Kreuzchen an der richtigen Stelle. Für Inhalte ist in dieser Kampagnenphase weder Zeit und noch Platz, es soll vielmehr ein Gefühl vermittelt werden

Doch erst zwei Schritte zurück: Um die Rolle der Wahlkampagne zu verstehen, müssen wir verstehen, wie ein Wahlkampf aufgebaut ist. Die erste Phase eines Wahlkampfs beginnt normalerweise schon ein Jahr vor den Wahlen: Hier werden die Spitzenkandidaten und Themenschwerpunkte bestimmt. In dieser Zeit geht es ein letztes Mal wirklich um die politischen Inhalte, mit denen die Parteien in den Wahlkampf gehen wollen. Danach stehen andere Schwerpunkte im Mittelpunkt.

Rund fünf Monate vor der Wahl, nach dem Wahlparteitag, beginnt die zweite Phase. In dieser Zeit fokussieren sich die Parteien üblicherweise auf die Mobilisierung der eigenen Mitglieder, die die Wahlkampfbotschaften in den letzten Monaten vor der Wahl in die Bevölkerung tragen sollen.

Erst in der dritten, der sogenannten heißen Phase, kommt die Wahlkampagne ins Spiel: In den letzten acht Wochen vor der Wahl geht es in erster Linie darum, unentschlossene Wähler zu überzeugen. Die Wahlkampagne zielt also darauf ab, eher politisch uninteressierte Menschen zu erreichen, die sich für gewöhnlich gar nicht tiefer mit Politik auseinandersetzen – und es auch in den letzten Wochen vor der Wahl nicht mehr tun werden.

Bei der diesjährigen Bundestagswahl sind die üblichen Zeitabläufe durcheinandergeraten. Da die Wahl um sechs Monate vorgezogen wurde, laufen Phase eins und Phase zwei aktuell zeitgleich ab: Die Parteien versuchen noch, ihre Mitglieder für den Wahlkampf zu aktivieren, während die Wahlkampagnen bereits angelaufen sind.

Lange bevor die Wahlkampagne tatsächlich umgesetzt wird, beginnt die Vorbereitung: Der erste Schritt dabei sind die Wähler- und Wahlkreis-Analysen. Zu wissen, wo Personen in der Vergangenheit wie gewählt haben, welcher Konfession sie angehören, wie viel sie verdienen, welchen Lebensstil sie pflegen oder welche Positionen sie vertreten – all das sind für Wahlkämpfer wichtige Informationen.

Solche Analysen machen alle Parteien, für gewöhnlich sprechen sie aber nicht darüber. Die Linke hat interessanterweise eine Wähleranalyse öffentlich gemacht und gibt damit Einblicke, wie eine solche aussehen kann. In dem Papier »Linke Triggerpunkte« untersuchte der Sozialwissenschaftler Carsten Braband für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, wo das Wählerpotenzial der Partei liegt und welche Positionen bei einer linken Wählerschaft besser oder schlechter ankommen.

Basierend auf diesen Daten identifizierte Braband aus den bestehenden Positionen der Linkspartei Gewinn- und Verlustforderungen. Das »konsequente Einstehen für eine vielfältige Gesellschaft« wird etwa als Verlustforderung aufgeführt, während Fachkräftemigration und die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt als Gewinnforderung gelten.

Auf die Analyse folgt die Planung der Kampagne: Hier werden die Ergebnisse der Wähleranalyse mit den Kernpositionen und der aktuellen Kandidatenkonstellation verknüpft. An dieser Stelle muss die Frage beantwortet werden: Mit welchen Wahlkampfinstrumenten transportieren wir welche Botschaften an welche Zielgruppen?

Erst dann beginnt die Umsetzungsphase – die Zeit vor der Wahl, in der Plakate gedruckt und aufgehängt, Kampagnenvideos in den sozialen Medien verbreitet und die ersten dezidierten Wahlkampfveranstaltungen abgehalten werden. Der Fokus: Kernthemen möglichst knapp und einfach kommunizieren und die Botschaften durch ständige Wiederholung einprägsam machen.

Welches Gefühl wollen also die Parteien bei der diesjährigen Bundestagswahl von sich vermitteln? Schauen wir uns die Kampagnen von CDU, SPD und Grünen an.

Make Deutschland wieder groß

Die Kernbotschaft der CDU für den diesjährigen Wahlkampf lautet: »Unter der Führung von Friedrich Merz werden wir den dringend notwendigen Politikwechsel einleiten, der Deutschland wieder nach vorne bringt.« Nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Bildsprache zielt die PR-Strategie der CDU nach rechts: Ein schwarz-rot-gelber geschwungener Balken im Logo wird nach rechts hin größer – ähnlich wie der rote Pfeil der AfD.

Auch Rechtsextreme im Ausland scheinen die Union für ihr Messaging inspiriert zu haben. Das Wahlkampfvideo der Union beginnt mit Agenturbildern der Sächsischen Schweiz, es folgen die Saarbrücker Stadtautobahn, der Bundestag und dann Szenen mit Friedrich Merz. Darüber spricht eine Frauenstimme: »An diesem Tag haben die Menschen wieder die Chance, die Phase der Verunsicherung zu beenden, indem sie sich für Stabilität und Verlässlichkeit entscheiden.« Die Begriffe Stabilität und Verlässlichkeit sind hervorgehoben. Dann die Kernbotschaft, die sich nur in Nuancen von Donald Trumps nationalistischem »Make America Great Again« unterscheidet: »Wir wollen uns dafür einsetzen, Deutschland wieder nach vorne zu bringen. Wieder nach vorne an die Weltspitze.« Die CDU verspricht, ein Land zu schaffen, »auf das wir wieder stolz sein können«.

Das erste Kampagnenvideo der SPD ist minimalistisch gehalten: roter Hintergrund, weiße Schrift. Eine tiefe männliche Stimme sagt: »Deutschland steht vor einer Zukunftsentscheidung. Und während andere Luftschlösser bauen, steht unser Programm auf einem sicheren Fundament.« Mit den »anderen« könnte Die Linke gemeint sein, deren Kernforderungen für die Bundestagswahl denen der SPD ähneln. Mit »weniger Steuern auf Löhne und Lebensmittel«, einem »Made in Germany-Bonus für Arbeitsplätze« und »niedrigen Strompreisen« wirbt die SPD um Unentschlossene.

Der Slogan kommt erst ganz zum Schluss: »Mehr für dich. Besser für Deutschland.« Was auch immer das heißen soll – die SPD signalisiert: Du, potenzieller Wähler, stehst im Mittelpunkt unserer Politik, direkt dahinter, an zweiter Stelle, Deutschland. Olaf Scholz kommt im Video überhaupt nicht vor – mit dem unbeliebten Kanzler kann man bei Nicht-SPD-Wähler*innen wohl nicht richtig punkten.

Die Küchentisch-Kampagne der Grünen dagegen trieft nur so vor inszenierter Nahbarkeit. Der Werbespot beginnt mit Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck, der mit verschmitztem Lächeln, Dreitagebart und hochgekrempelten Ärmeln an einem Holztisch sitzend in die Kamera spricht. Habeck steht im Mittelpunkt der Kampagne. Dann sieht man ihn, wie er ganz normale Menschen zu Hause besucht – »Hi, ich bin Robert«, sagt er freundlich und schüttelt Hände. Anschließend setzt sich »Robert« an den Küchentisch, wo er mit den Leuten über ihre Sorgen spricht und vor allem zuhört – was mehrfach betont wird.

Der Ansatz erinnert stark an den der Linkspartei, deren Kampagne darin besteht, an 100 000 Haustüren zu klopfen, »um zu fragen, wo denn der Schuh drückt«. Die Botschaft in beiden Fällen lautet: Wir sind da, wir sind auf Augenhöhe, wir hören zu. Damit niemand die Botschaft der Grünen verpasst, betonen alle Küchentischbesitzer im Werbespot noch einmal, wie toll sie es finden, dass Spitzenpolitiker mit ihnen sprechen: »Wann hat man schon mal Gelegenheit, mit einem Politiker direkt zu sprechen und zu sagen, was einem auf dem Herzen liegt? Dafür bin ich unglaublich dankbar.« Gelegenheit für eine solche Begegnung wird es nach dem Wahlkampf wohl nicht mehr geben.

Während CDU und SPD in ihrem Werbespots wenigstens noch mit Schlagworten andeuten, wofür sie sich eigentlich nach der Wahl einsetzen wollen, kommt das Grünen-Video völlig ohne konkrete Forderungen aus – wir erinnern uns: Die Grünen reden nicht, sondern hören zu. Auch auf den Wahlplakaten der Partei wird nicht klar, wofür die Politiker, die darauf abgebildet sind, eigentlich stehen. »Ricarda Lang für Backnang«, so lautet eine Botschaft, darunter der Wahlslogan der Grünen: »Ein Mensch. Ein Wort.« Welches Wort das sein soll, bleibt allerdings offen. Ein Wahl-Post Habecks treibt das inhaltslose Gemenschel der Grünen-Kampange auf sie Spitze: »Kanzler Werden. Mensch Bleiben.« Darunter noch mal: »Ein Mensch. Ein Wort.«

»Die Küchentisch-Kampagne der Grünen trieft nur so vor inszenierter Nahbarkeit.«

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