Nahles macht SPD-Politiker zu Schichtarbeitern

Fraktionschefin der Sozialdemokraten im Bundestag will Präsenz der eigenen Abgeordneten stärker kontrollieren

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Berlin. Der AfD-Abgeordnete Stefan Keuter ist im Bundestag bisher nicht mit großen Reden oder Gesetzesinitiativen aufgefallen. Dafür machte im Dezember eine Twitter-Nachricht Schlagzeilen. »Heute Plenarsitzung. Charakteristisch: Die AfD läuft früh ein, in den Reihen der Altparteien herrscht noch gähnende Leere.« Als Keuter das veröffentlicht, ist es 8.39 Uhr.

21 Minuten vor Sitzungsbeginn ist es meistens leer im Bundestag. Der Schuss ging für den Essener nach hinten los, Häme ergoss sich über ihn, von gezielten »Fake News« war die Rede. Doch die Botschaft war damit gesetzt. »Wir werden sie jagen«, hatte der AfD-Fraktions- und Parteichef Alexander Gauland ja am Abend der Bundestagswahl gesagt.

Ein Ansatz, sich im Parlament von den anderen Parteien abzusetzen, sollte von Anfang an die starke Präsenz sein. Die Botschaft: Wir arbeiten, die anderen greifen nur Geld ab. So versuchte die Fraktion in der ersten Zeit, möglichst oft mit allen Abgeordneten präsent zu sein. Auch wenn die Reihen bei der AfD im Plenum inzwischen lichter geworden sind in vielen Sitzungen - die Bilder von leeren blauen Bundestagssitzen bei den anderen zeigt Wirkung.

SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles nimmt ihre Leute nun an die kurze Leine. Sie will dafür sorgen, das nach der Sommerpause trotz aller anderen Verpflichtungen sichergestellt ist, dass die SPD genug Leute im Parlament hat. Dazu wird ein Schichtdienst für die 153 SPD-Abgeordneten eingeführt, an dem sich alle individuellen Terminplanungen zu orientieren haben. »Die Landesgruppen werden in drei wechselnde Gruppen eingeteilt: Die jeweils erste Gruppe hat Dienst im Plenum, die zweite Gruppe hält sich in Rufbereitschaft auf und kann nach Alarmierung binnen 15 Minuten das Plenum erreichen, die dritte Gruppe muss nur bei besonderen Anlässen (Hammelsprung, Namentliche Abstimmungen) ins Plenum kommen«, heißt es in einem Beschlusspapier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Dazu werden nun Dienstpläne mit »Präsenzfenstern« für jeweils 2,5 Stunden erstellt und drei jeweils rund 50 Abgeordnete starke Gruppen gebildet. Eine mit den Abgeordneten aus NRW und Rheinland-Pfalz, dann eine mit den SPD-Abgeordneten aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und dem Saarland, die dritte umfasst Ostdeutschland, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Hamburg. Wer seiner Präsenzpflicht unentschuldigt nicht nachkommt, muss mit Sanktionen rechnen.

Intern ging es deshalb hoch her. Bis hin zu einem Streit, wer freitags Schichtdienst hat, da die Bayern zum Beispiel spätestens um 14 Uhr los wollen, um noch gut zu den Familien nach Hause zu kommen. »Fraktionsmitglieder, die diesen Verpflichtungen nicht nachkommen können, haben dies der für Präsenzsicherung zuständigen Parlamentarischen Geschäftsführerin (Dagmar Ziegler) vorher schriftlich mitzuteilen und für Ersatz zu sorgen«, wird betont. Und generell gelte für alle Präsenzpflicht bei den Kernzeitdebatten des Bundestages - in der Regel donnerstags und freitags bis 12.00 Uhr.

Die AfD errang 12,6 Prozent bei der Bundestagswahl, im Bundestag hat die Fraktion heute nach zwei Austritten noch 92 Abgeordnete. Sie hat dort das Klima verändert, man fühlt sich stärker beobachtet - die sozialen Medien werden zur Waffe, siehe die Bilder leerer Reihen und die SPD-Versuche einer besseren Präsenz. Zudem wird die Sprache härter - auch bei Unionspolitikern werden Begriffe wie »Asyltourismus« und »Anti-Abschiebe-Industrie« salonfähig.

In der Union ist so ein Präsenz-Modell im Bundestag bisher nicht geplant. Bisher habe die Koalition keine einzige Abstimmung verloren, weil zu wenig Abgeordnete anwesend waren, heißt es. Und oft bleibt außer Acht, wie das Parlament arbeitet. In den 21 Sitzungswochen beginnen Arbeitstage gegen acht Uhr und enden selten vor 22.00 Uhr.

Jenseits der großen Debatten wie Aussprachen über die Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundeswehreinsätze, den Haushalt oder wichtige Gesetze, wo fast alle der 709 Abgeordneten anwesend sind, dominieren die Fachdebatten. Zu denen kommen meist nur die Experten für die jeweiligen Politikfelder. Die anderen Abgeordneten sitzen dann in Ausschüssen, in Gremiensitzungen, treffen Experten, lesen Akten, bereiten Reden und Gesetzesinitiativen vor - oder zeigen Besuchergruppen aus den Wahlkreisen, wie das Parlament funktioniert.

Zweifelsohne sind die Debatten lebendiger und polarisierter geworden, seit die AfD im Bundestag sitzt. In einer der letzten Sitzungen vor der Sommerpause zerpflückte der SPD-Politiker Johannes Kahrs AfD-Haushaltsvorschläge, die unter anderem auf eine Abschaffung des Verfassungsschutzes hinauslaufen würden. Das schlage die AfD nur vor, weil sie Angst vor einer Beobachtung habe. »Rechtsradikale braucht in diesem Land niemand«, schleuderte Kahrs am Ende der AfD entgegen. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) wollte das trotz der AfD-Forderungen nicht rügen: »Dies ist im Rahmen der Meinungsäußerung zulässig. Ob es zutreffend ist, habe ich nicht zu bewerten.«

Dabei geht es hinter den Kulissen auch schon mal anders zu. Nach der Sitzung des Haushaltsausschusses, der die letzten Details des neuen Etats regelte, fanden sich auch AfD-Leute zum Biertrinken in der berühmten »Papierkneipe« ein: an der Zapfanlage im Raum neben dem Sitzungssaal, wo die ganzen Akten und Ausschussunterlagen liegen. dpa/nd

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