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Thüringen enteignet Schlossherren
Kulturminister Hoff spricht von einem Nachwende-Wirtschaftskrimi, der nun beendet sei
Es ist die derzeit wohl spektakulärste Rettungsaktion für ein Schloss in Deutschland: Um die Schloss- und Parkanlage Reinhardsbrunn zu erhalten, startete das Land Thüringen im Februar 2017 ein Verfahren, mit dem es den Besitzer des historischen Gemäuers loswerden will. Am Dienstag war es soweit: Landeskulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) verkündete, das Enteignungsverfahren durch das Landesverwaltungsamt in Weimar sei erfolgreich abgeschlossen. Thüringen sorgt damit nach Ansicht von Fachleuten für ein Novum - und möglicherweise für einen Präzedenzfall im deutschen Denkmalschutz.
»Ein derartiges Enteignungsverfahren ist in Thüringen und der gesamten Bundesrepublik einmalig«, sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). »Für Reinhardsbrunn ist die Zeit des Verfalls sowie der Notsicherungsmaßnahmen durch die Denkmalbehörden nun vorbei.«
Jetzt ist das Land Eigentümer von Reinhardsbrunn und nicht mehr, wie es in dem Verfahren hieß, die Firma Bob Consult - zuletzt mit Adresse in Hamburg. Die Firma, zu der kaum jemand genaueres sagen mag, überließ das Schloss in Friedrichroda (Kreis Gotha) im Thüringer Wald jahrelang der staatlichen Notsicherung. Gegen die Entscheidung kann die Gegenseite nach Angaben des Kulturministeriums Einspruch erheben.
Fast alle Denkmalschutzgesetze der Bundesländer haben nach Angaben der Stiftung Denkmalschutz Klauseln, die Enteignungen als Ultima Ratio vorsehen, sollten Eigentümer ihrer Erhaltungspflicht partout nicht nachkommen. Erprobt wurde das schärfste Mittel im Denkmalschutz nun zum ersten Mal.
Seit Jahren wirkte Reinhardsbrunn auf Besucher wie ein Dornröschenschloss in einem verwilderten Park - manchmal diente es als Filmkulisse. Ein Förderverein kümmerte sich um das Gemäuer.
Für die dringendsten Sicherungsarbeiten will Thüringen nach Angaben des Kulturministers nun 1,9 Millionen Euro ausgeben. Das Geld sei vorsorglich im Doppelhaushalt 2018/19 eingestellt worden. »Mit privaten und öffentlichen Partnern wollen wir dem Schloss eine neue Perspektive geben«, betonte Hoff. Schätzungen zufolge könnte die Komplettsanierung einen zweistelligen Millionenbetrag kosten.
Das Schloss war 1827 auf der Ruine des Hausklosters der Thüringer Landgrafen entstanden. Ramelow nannte das Areal deshalb eine »Keimzelle Thüringens«. In der DDR beherbergte es ein Interhotel vor allem für Devisengäste, bis Ende der 1990er Jahre wurde es weiter als Hotel genutzt. Während des mehr als einjährigen Enteignungsverfahrens beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe mit der denkmalgerechten Sicherung, aber auch mit Nutzungsmöglichkeiten. Hoff hatte mehrfach erklärt, dass Thüringen nach privaten Investoren Ausschau hält.
Knackpunkt im Enteignungsverfahren war, dass die Eigentümer Grundschulden von mehr als neun Millionen Euro auf das Schloss eingetragen ließen. Wo das Geld blieb, ist unklar. Bereits die Landesregierung unter CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hatte im Jahr 2014 Rechtsgutachten eingeholt, damit die immense Grundschuld bei einer Enteignung nicht auf das Land übergeht. Das Land machte zunächst ein Kaufangebot: Einen Euro wollte es laut eines Wertgutachtens zahlen.
Reinhardsbrunn erging es nach 1990 wie mehreren Schlössern und Burgen in Ostdeutschland: Die Anlage wurde von der Treuhandanstalt verkauft. In anderen Fällen suchten die Bundesländer nach Schlossherren. Nicht immer waren die von ihnen vorgelegten Nutzungskonzepte erfolgreich - bei Reinhardsbrunn kamen noch undurchsichtige Finanztransaktionen dazu. Thüringens Kulturminister Hoff sprach von einem Nachwende-Wirtschaftskrimi, der nun beendet sei. dpa/nd
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