Große Oper à la provençale

Das bedeutendste Musikfestial Frankreichs in Aix-en-Provence begann mit einer »Ariadne auf Naxos« unter freiem Himmel

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Beim wichtigsten Musikfestival Frankreichs in Aix-en-Provence steht ein Intendanten-Wechsel bevor. Der 70. Jahrgang ist der letzte von zehn unter Leitung des Belgiers Bernard Foccroulle. Der hat einerseits die auf Mozart und die provencalische Sommeridylle setzende Tradition bewahrt. Er hat aber auch die internationale Vernetzung, samt der offenbar unvermeidlichen Koproduktionen, ebenso wie die vor zwanzig Jahren gegründete Europäische Akademie für den künstlerischen Nachwuchs ausgebaut. Die sichtbarste Veränderung (und Bürde seiner ersten Jahre) war der Neubau des Grand Théâtre de Provence.

Dessen über 1300 Plätze stehen seit 2007 auch für Hauptproduktionen des Festivals zur Verfügung. Außer »Rheingold« wurden hier alle Teile des Nibelungen-Rings von Simon Rattle und den Berliner Philharmoniker aufgeführt. Damit war für mehrere Jahre ein Programm-Schwerpunkt vorgegeben, den Foccroulle von seinem Vorgänger Stephane Lissner (und dessen Mit-Planerin Eva Wagner-Pasquier) geerbt hatte. Zum Abschluss resümierte Foccroulle, dass seine eigene Festivaldramaturgie (mit einer Mozart- und Barock-Oper, einem weiteren Klassiker, einem weniger bekannten Stück und einer, manchmal sogar zwei Uraufführungen) erst ab 2010 möglich war.

Herausragende Produktionen der vergangenen Jahre waren etwa Dmitri Tcherniakovs atemberaubende »Carmen« (2017); auch Patrice Chéreaus gleichsam testamentarische »Elektra« (2013) ist in bleibender Erinnerung. Immer wieder setzte die britische Regisseurin Katie Mitchel Maßstäbe. Ob mit dem Uraufführungsglücksfall von George Benjamins »Written on Skin« (2012), »Alcina« (2015) oder mit »Pelléas et Mélisande« (2016).

Schon wegen dieser Reihe von erstklassigen Inszenierungen waren die Erwartungen an Mitchels »Ariadne auf Naxos« in diesem Jahr hoch. Und die Enttäuschung war daher um so größer. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht im Großen Haus, sondern in dem unter freiem Himmel zwar atmosphärischen, aber in seinen bühnentechnischen Möglichkeiten eingeschränkten Théâtre de l’Archevêché im Innenhof des ehemaligen erzbischöflichen Palastes inszenierte. Der gutbürgerliche Salon, den Chloe Lamford für dieses seltsame Zwitterstück des Erfolgsduos Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal gebaut hat, kommt dem Plot, in einem noblem Wiener Privatpalais eine Oper und ein Singspiel aufführen zu lassen, zunächst recht nahe. Hier wird wirklich im Kammerspielformat eine wüste Insel aus Sand in den vor unseren Augen leer geräumten Salon geharkt. Und hier laufen sich tatsächlich der tuntige Tanzmeister samt Zerlinas Truppe und die abgehobenen Großkünstler nebst Komponist und dessen Lehrer dauernd vor den Füßen herum. Das hat selbstverständlichen Spielwitz. Wirkt aber im zweiten Teil, wenn wirklich Oper und Maskerade miteinander verschränkt werden, einerseits seltsam schaumgebremst, andererseits mit Einfällen überfrachtet.

Bei Mitchel und ihrem Dramaturgen Martin Crimp kriegt man (anders als in der heute gebräuchlichen Fassung) auch mal den reichsten Mann Wiens (nebst Gattin) und nicht nur deren Haushofmeister zu sehen (und mit Zwischenrufen) zu hören. Dass der Komponist (wunderbar: Angela Brower) seine Oper durchdirigiert, leuchtet ja noch ein. Wenn aber der Graf im langen roten Kleid auftritt und wenn die für die Oper schwanger ausstaffierte Ariadne auf dem großen Tisch im Salon bei der Ankunft des Gottes niederkommt, dann ist das ganz schön dick aufgetragen. So wie das Tischfeuerwerk zum Finale wiederum zu mickrig ausfällt.

Mark Albrecht sorgt mit dem Orchestre de Paris für einen wunderbar geschmeidigen Klang und liefert die Parlando-Untermalung ebenso maßgeschneidert wie die großen Ausbrüche von Ariadne und Bacchus. Ariadne wird von Lise Davidsen verkörpert, eine potenzielle Brünnhilde der Zukunft, die auch zum Klub der Ehemaligen der Akademie gehört. Bacchus wird von Eric Cutler gespielt, einem der Standfesten seines Fachs. Wunderbar koloraturzart (aber darstellerisch unterfordert und aufs Blinkerkleidchen reduziert) Sabine Devieilhe als Zerbinetta. Auch sie ist eine der insgesamt neun ehemaligen Akademisten dieser Produktion. So schließen sich dann doch die Kreise.

Nächste Aufführungen: 14., 16. Juli. www.festival-aix.com

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