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Lächel mal
»Mit welchem Recht wollen wir also Leuten falsche Emotionen entlocken?«, fragt sich Paula Irmschler
Arbeiten! Was für eine geile Sache. Dass die Deutschen obsessiv bei diesem Thema sind, ist nichts Neues. Gesellschaftsfähig ist nur, wer Arbeit hat, denn wer Arbeit hat, wird respektiert, verdient es, Ansprüche zu stellen, gehört dazu, trägt etwas bei, ist nützlich. Man kennt es, es heißt Kapitalismus und alle gehen hin. Das reicht aber noch nicht. Wirklich bestanden hat nur, wer auch wirklich aufgeht in seinem Job, sein Job wird, hinter ihm steht, sich mit ihm identifiziert, ihn liebt. Während es noch erlaubt ist, sich zumindest zu beschweren, montags »wieder früh raus« zu müssen und am Abend erschöpft zu sein, so ist es auf jeden Fall verboten, während der Arbeit Schwäche oder Eigenheiten zu zeigen.
Im Servicebereich spielt das eine besonders wichtige Rolle für Menschen, denn da sehen sie andere Leute beim Arbeiten. Dort sind sie dabei, als Freizeitteilnehmer und Serviceleistungsempfänger. Der den Service ausübende Mensch soll nun also stellvertretend für alle performen, dass Arbeit nicht etwa Ausbeutung ist, ein Mittel zum Zweck, der Mietengarant, sondern ein spaßiges Privileg. Menschen im Service sollen den Schein für alle anderen wahren, weil sonst könnte einem noch klar werden, dass man selbst nicht nur Malocher ist, sondern auch Anteil daran hat, dass andere malochen müssen. Servicemenschen sollen lügen, schauspielern, performen, dass es gerade nicht etwa um einen materiellen Deal geht, sondern um eine Begegnung. Sonst gibt’s halt kein Trinkgeld, Pech gehabt!
Auch super aufgeklärte Leute können das ganz gut. Ich schwöre, ich habe nicht wenige Marxisten sagen hören, dass es ja wohl nicht sein könne, wie unfreundlich sich die Person am Schalter, am Tresen, an der Garderobe oder im Bus gerade gezeigt hat. Was sie meinen, sind meistens Kleinigkeiten, also Unsicherheiten, schlechte Laune, Unwissen. Dinge, die man sicherlich nicht absichtlich auffährt. Es ist nicht drin, dass eine Person einen beschissenen Tag hat, private Probleme hat, ungenügend auf den Job vorbereitet wurde, sich bestimmte Sprüche schon vorher 87 Mal anhören musste oder vielleicht schlichtweg keine Lust hat, was auch vollkommen legitim wäre.
Worum es doch eigentlich geht, ist, dass wir beispielsweise einen Kaffee oder sonst ein egales Produkt wollen und eine Person dafür bezahlt wird, es uns zu beschaffen. Ebenjene Person ist selbstverständlich nur da, weil sie verdammt noch mal ihre Miete bezahlen muss, und nicht, weil es ihr Hobby oder weil sie in uns verknallt ist. Mit welchem Recht wollen wir also Leuten falsche Emotionen entlocken? Weil wir glauben, dass sie uns in diesen Momenten gehören. Deswegen habe ich beschlossen, wann immer mir in meinem Nebenjob jemand mit »Lächel doch mal!« kommt, genaue Instruktionen zu geben, was er denn in seiner Rolle in dieser Konstellation jetzt mal für mich tun könnte. Das Ergebnis würde Sie überraschen.
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