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Kein Erfolg für den Rechtsstaat

Nach dem Ende des NSU-Prozesses üben Vertreter der Nebenkläger scharfe Kritik am Urteil und am Verfahren

  • Lesedauer: 5 Min.

Wir sind nicht nur enttäuscht, sondern auch wütend über das Urteil. Nicht nur, weil die Angeklagten Eminger und Wohlleben deutlich niedrigere Strafen erhalten haben, als es die Bundesanwaltschaft gefordert hatte. Viel schlimmer ist für die Nebenkläger*innen, dass das Urteil ein Schlussstrich sein will. Das Gericht stellt den NSU als abgeschottetes Trio dar, das bereits vor dem Untertauchen seine Entscheidungen alleine traf. Es spricht auch die Ermittlungsbehörden davon frei, dass sie Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nach deren Untertauchen hätten finden können und müssen. Den Verfassungsschutz und die strukturell rassistischen Ermittlungen zu Lasten der Angehörigen der Opfer erwähnt es gar nicht.

Wie das Gericht zu seinen Feststellungen kommt, ist nicht nachvollziehbar. Sie sind durch die Erkenntnisse in der Beweisaufnahme, aber auch in den Untersuchungsausschüssen widerlegt. Dieses Urteil ist daher alles andere als ein Erfolg der rechtsstaatlichen Justiz gegen Einflussnahmen von außen. Denn das Gericht hat insoweit gerade nicht akribisch Erkenntnisse aus einer umfassenden Beweisaufnahme ausgewertet. Zum Beispiel stellte das Gericht fest, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe »zu dritt und ohne weitere Personen« Anschläge planten, ausspähten und durchführten.

Der NSU-Prozess

Der NSU-Prozess war einer der größten, wichtigsten und langwierigsten Strafprozesse in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Verhandelt wurde fünf Jahre lang die Beteiligung bzw. Beihilfe der Angeklagten bei zehn rassistisch motivierten Morden und weiteren Gewalttaten und Verbrechen. Die beiden mutmaßlichen Haupttäter des so genannten Nationalsozialistischen Untergrunds hatten sich im Herbst 2011 wahrscheinlich selbst getötet.

Beteiligt an dem Prozess in München waren neben den Anklagevertretern der Bundesanwaltschaft mehr als 70 Angehörige der Mordopfer sowie Geschädigte der Sprengstoffanschläge. Sie schlossen sich als Nebenkläger der Anklage der Bundesanwaltschaft an und wurden von etwa 50 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten vertreten. Einige dieser Anwälte gaben nach dem Urteil am 11. Juli die hier dokumentierte Erklärung ab.

Weitere Informationen: www.nsu-nebenklage.de

Dabei hatte das Gericht die Beweisaufnahme auf diese Frage nach weiteren Unterstützern, u.a. an den Tatorten, gar nicht erstreckt. Soweit die Beweisaufnahme Teilerkenntnisse zum Netzwerk des NSU erbracht hat, hat das Gericht diese entweder ganz ignoriert oder sogar das Gegenteil des Festgestellten behauptet. Mit seinem Urteil hat sich das Oberlandesgericht damit im Sinne der Staatsräson als Staats-Schutz-Senat im Wortsinne betätigt.

Unerträglich ist für die Angehörigen der Mordopfer und die Opfer der Sprengstoffanschläge, dass die milde Strafe gegen den Angeklagten Eminger, der in der Hauptverhandlung keinen Hehl aus seiner fortdauernden nationalsozialistischen Haltung gemacht hat, als Bestätigung seines Auftretens aufgefasst werden muss. Er wurde, obwohl er bewusster Unterstützer der terroristischen Vereinigung war und auch im Nachhinein keine Reue zeigte, sogar eine Art Heiligenverehrung der Mörder Mundlos und Böhnhardt betrieb, nur zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Er verließ den Gerichtssaal unter dem Beifall der anwesenden Neonazis als freier Mann. Auch bei Ralf Wohlleben, der weiterhin seine neonazistische Gesinnung vertritt, ist das Gericht mit zehn Jahren deutlich unter der Forderung der Bundesanwaltschaft geblieben. Allein bei Carsten Schultze folgte das Gericht dem Strafantrag der Bundesanwaltschaft - ausgerechnet er, der sich als einziger glaubhaft von der Naziszene gelöst hat, soll längere Zeit im Gefängnis verbringen als Eminger.

Insgesamt stellt sich das Gericht mit seinem Urteil an die Seite der Bundesanwaltschaft, indem es ihrer - längst widerlegten - These der isolierten Dreierzelle folgt. Indem es zudem die Rolle von Polizei und Geheimdiensten vollständig außen vor lässt, ist dieses Urteil Wasser auf die Mühlen derer, die den NSU-Komplex für aufgeklärt und aufgearbeitet erklären und zur Tagesordnung übergehen wollen.

Aber der heutige Tag darf nicht das Ende der Aufklärung sein. Diesem weiteren Rückschlag zum Trotz halten wir als Nebenklagevertreter*innen daran fest:

Die Verbrechen des NSU richteten sich gegen Menschen, die in Deutschland lebten und leben und die in Deutschland, in der Türkei, Griechenland und dem Iran geboren waren. Diese Verbrechen sind auch ein Angriff auf die Grundfesten dieser Gesellschaft. Ihren Folgen kann nur durch rückhaltlose Auseinandersetzung und Aufklärung entgegengetreten werden. Nur dadurch kann den vom NSU-Terror Betroffenen etwas von ihrem verlorenen Vertrauen wiedergeben werden - und ein klares Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus gesetzt werden.

Notwendig ist eine umfassende Auseinandersetzung mit der Ideologie des »Nationalsozialistischen Untergrunds«. Gerade heute ist dies unumgänglich, wo völkisch-rassistisches und antisemitisches Denken nicht nur am Rande der Gesellschaft zunehmen und sich militante neonazistische Strukturen dadurch bestärkt fühlen. Ein zweiter NSU kann jederzeit wieder entstehen, wenn es ihn nicht schon gibt.

Notwendig ist auch eine rückhaltlose Aufklärung der Rolle der Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden. Durch ihr Handeln haben sie die Verbrechen des NSU ermöglicht. Der Verfassungsschutz selbst hat durch Aktenvernichtungen und offene Lügen die Aufklärung be- und verhindert.

Das nach der Selbstbekennung des NSU gegebene Aufklärungsversprechen haben die Behörden systematisch gebrochen. Die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt haben ihre Ermittlungen frühzeitig mit ihrer »Trio-These« verengt, was das Urteil heute zum Entsetzen der Nebenkläger*innen bestätigt hat. Der Verfassungsschutz selbst hat durch Aktenvernichtungen und offene Lügen die Aufklärung be- und verhindert.

Noch einmal: Das Urteil darf nicht das Ende der Aufklärung bedeuten! Es bedarf einer breiten Unterstützung durch die Zivilgesellschaft, durch engagierte Journalist*innen und Politiker*innen, um die Forderungen der Nebenkläger*innen gegen institutionelle Widerstände durchzusetzen. Zu diesen Forderungen gehört u.a. folgendes:

Die These vom NSU als abgeschottetem Trio als beschränkende Leitlinie für die Ermittlungen muss endlich aufgegeben werden. Die noch offenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen bekannte Unterstützer müssen effektiv weiter betrieben werden. Darüber hinaus müssen gründliche Ermittlungen zum NSU und seinem Netzwerk - insbesondere auch an den Tatorten - aufgenommen werden.

Das Agieren der V-Leute und Mitarbeiter*innen der Verfassungsschutzbehörden muss Konsequenzen haben. Bei den notwendigen (auch strafrechtlichen) Untersuchungen darf keine Rücksicht auf die Interessen der Nachrichtendienste und ihrer V-Personen genommen werden.

Die Nachrichtendienste müssen ihr Wissen um den NSU und sein Netzwerk endlich offen legen, ihre noch vorhandenen Akten den Untersuchungsausschüssen zur Verfügung stellen und Mitarbeiter*innen und V-Leuten uneingeschränkte Aussagegenehmigungen erteilen.

Ein neues Vernichtungsmoratorium bezüglich aller Akten und sonstigen Beweismittel mit eindeutigem oder potenziellem Bezug zum NSU ist zu erlassen - zumindest bis sämtliche NSU-Untersuchungsausschüsse und Ermittlungsverfahren abgeschlossen sind.

Die Hamburger Bürgerschaft muss einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Der Stadtstaat ist das einzige Bundesland, das Tatort eines bekannten NSU-Mordes war, in dem es bisher keinen Untersuchungsausschuss gab bzw. gibt.

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte

Serkan Alkan
Seda Başay
Antonia von der Behrens
Önder Bogazkaya
Christina Clemm
Dr. Mehmet Daimagüler
Dr. Björn Elberling
Berthold Fresenius
Martin Heising
Alexander Hoffmann
Carsten Ilius
Ali Kara
Stephan Kuhn
Edith Lunnebach
Yavuz Narin
Gül Pinar
Eberhard Reinicke
Kiriakos Sfatkidi
Sebastian Scharmer
Isaak Sidiropoulos
Dr. Peer Stolle
Turan Ünlücay

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