- Politik
- »Gefährder« Sami A.
»Grob rechtswidrig«
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erhebt Vorwürfe wegen Abschiebung des mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächters
Im gesamten Jahr 2018 hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erst vier Pressemitteilungen veröffentlicht. Am Freitag kamen gleich drei neue dazu. Ein gutes Indiz dafür, dass es sich bei der Abschiebung von Sami A. nicht um einen gewöhnlichen Vorgang handelt. Der Tunesier wird in Medien gern als »Leibwächter von Osama bin Laden« bezeichnet. 1999 soll er eine militärische Ausbildung in einem Stützpunkt von Al-Qaida in Afghanistan erhalten haben und in die Leibgarde des Terrorführers aufgestiegen sein.
Sami A. bestreitet allerdings diese Vorwürfe. Er will in diesem Zeitraum eine religiöse Ausbildung in Pakistan erhalten haben. Ein 2006 eingeleitetes Verfahren der Bundesanwaltschaft wurde schnell wieder eingestellt, da es keine Beweise für die Mitgliedschaft in der Terrororganisation gibt. Unstrittig ist dagegen, dass Sami A. in islamistischen Kreisen verkehrt.
Deswegen wird Sami A. seit Jahren als islamistischer »Gefährder« geführt. Er muss sich darum täglich bei der Polizei melden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Bochumer Ausländerbehörde und diverse Politiker wollten Sami A. schon seit Jahren abschieben. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte die Ausweisung von A. zur Chefsache. Doch es gab Hindernisse. 2010 wurde gerichtlich ein Abschiebeverbot festgestellt, da Sami A. in Tunesien Folter droht.
Vier Jahre später versuchte das BAMF dann zum ersten Mal, dieses Verbot aufzuheben. Nach dem »Arabischen Frühling« habe sich die Situation in Tunesien geändert, Folter sei nicht mehr zu erwarten. Das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen sah dies anders. Im Falle von Sami A. bestehe »nach wie vor ein hohes Risiko«, gefoltert und unmenschlich behandelt zu werden, so das Gericht. Im vergangenen Monat wurde der nächste Versuch unternommen. Das BAMF widerrief das Abschiebeverbot, die Bochumer Ausländerbehörde erließ eine »Abschiebungsandrohung«. Sami A. ging gerichtlich gegen beides vor. Beide Maßnahmen bedeuten in normalen Verfahren erst einmal nicht viel. Abschiebungsandrohungen werden auch verschickt, wenn eine Abschiebung nicht konkret ansteht.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, konfrontiert mit den zahlreichen Anträgen von Sami A., versuchte nun, sich mit dem BAMF sowie der Ausländerbehörde in Bochum in Verbindung zu setzen. Die Verwaltungsrichter wollten sicherstellen, dass A. nicht abgeschoben wird, bevor sie über seine Anträge entschieden haben. Noch am vergangenen Mittwoch wollte das Gericht vom BAMF dafür eine sogenannte Stillhaltezusage. Es drohte an, sonst eine vorläufige Entscheidung zu treffen. Das BAMF gab sich kooperativ. Das Gericht fällte eine ordentliche Entscheidung, die am vergangenen Freitag gegen acht Uhr verschickt wurde.
Zu diesem Zeitpunkt saß Sami A. aber schon in einer extra gecharterten Maschine nach Tunesien. Die Abschiebung hatte begonnen. Das Gericht versuchte, noch zu intervenieren. Doch es scheiterte dabei. Bei der Ausländerbehörde konnten den Gelsenkirchener Richtern keine Angaben zu Flugdaten gemacht werden. Der gerichtlichen Forderung, Sami A. umgehend zurückzufliegen, wurde nicht nachgekommen. Ob das Gericht hier bewusst ignoriert wurde oder ob es sich um eine schwerwiegende Kommunikationspanne handelt, ist bisher unklar.
Im Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ist man jedenfalls wütend über das Handeln der Behörden. Es sei »grob rechtswidrig«, für Sami A. bestehe weiterhin ein Abschiebeverbot, er müsse nach Deutschland zurückgeholt werden. Außerdem wirft das Gericht »allen beteiligten Behörden« vor, dem Gericht »trotz mehrfacher Anfrage« den Zeitpunkt der Abschiebung nicht mitgeteilt zu haben. Insgesamt seien »grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien« verletzt worden.
Vom nordrhein-westfälischen Integrationsministerium, das von der FDP geführt wird, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber dem »nd«, dass Sami A. »vollziehbar ausreisepflichtig« gewesen sei. Gerichtliche Entscheidungen gegen die Abschiebung von A. hätten zu dem Zeitpunkt des Abflugs nicht vorgelegen. Eine Verkündung sei »nicht erfolgt«. Gemeinsam mit der Bochumer Ausländerbehörde will das Ministerium nun Beschwerde gegen die Anordnung des Gerichts einlegen, dass Sami A. aus Tunesien zurückgeholt werden muss. Zu weiteren Fragen äußert sich das Innenministerium »wegen des laufenden Verfahrens« nicht. Auch das BAMF äußerte sich am Wochenende nicht zu den Vorwürfen, an einer rechtswidrigen Abschiebung beteiligt gewesen zu sein.
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