Jüdischer Professor wirft Bonner Beamten Polizeigewalt vor
US-amerikanischer Wissenschaftler bezeichnet Darstellung der Polizei als »Lüge« - man habe ihn zudem von einer Beschwerde abbringen wollen
Bonn. Nach dem antisemitischen Angriff auf einen jüdischen Professor aus den USA in Bonn erhebt dieser schwere Vorwürfe. Jitzchak Jochanan Melamed schreibt in einem offenen Brief, die Polizei würde über den Fall »Lügen« verbreiten.
Bei dem Vorfall hatte zunächst ein 20-jähriger Deutscher mit palästinensischen Wurzeln den US-Amerikaner beschimpft, ihm die Kippa vom Kopf gehauen und ihn geschlagen. Als die Polizei - laut Melamed erst nach rund 20 Minuten - eintraf, hielt sie zunächst fälschlicherweise den Professor für den Täter, überwältigte ihn und schlug ihm mehrfach ins Gesicht. Dafür hatte sie sich bereits entschuldigt. In ihrer Pressemitteilung schrieb sie zugleich auch, Melamed habe nicht auf ihre Zurufe reagiert und habe sich gewehrt.
Das weist der US-Amerikaner scharf zurück. Er schildert die Ereignisse so: Die Polizisten seien direkt auf ihn losgegangen, er habe kaum noch atmen, geschweige denn Widerstand leisten können. Er habe lediglich gerufen, dass er der Falsche sei. Die Beamten hätten ihm auf dem Rücken Handschellen angelegt und ihn Dutzende Male ins Gesicht geschlagen, so dass es blutete. Nachdem ihm die Handschellen wieder abgenommen worden waren, habe einer der Polizisten gesagt: »Legen Sie sich nicht mit der deutschen Polizei an!« Darauf habe er geantwortet, dass die deutsche Polizei 1942 seinen Großvater, seine Großmutter, seinen Onkel und seine Tante ermordet habe. Er habe keine Angst mehr vor der deutschen Polizei.
Auf der Polizeistation hätten die Beamten dann eineinhalb Stunden lang versucht, Melamed von einer Beschwerde abzubringen. Einer der Polizisten habe behauptet, er sei von dem Professor an der Hand berührt worden - erst als Reaktion darauf seien sie gegen ihn vorgegangen. Das bezeichnet Melamed als »glatte Lüge«. Es habe keinen Körperkontakt gegeben, die Polizisten hätten sich sofort auf ihn gestürzt. Schließlich hätten sie ihm damit gedroht, ihn zu beschuldigen, er habe sich seiner Festnahme widersetzt, sollte er sich über sie beschweren.
Gegenüber einem der Polizisten habe der Professor noch erklärt: »Ich denke, es ist in ihrem Interesse als deutscher Bürger das Problem der Polizeigewalt zu beheben, besonders, wenn es gegen Ausländer und Minderheiten gerichtet ist.«
Die Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa hatte Melamed nach dem Vorfall besucht und sich entschuldigt. »Es handelt sich um ein schreckliches und bedauerliches Missverständnis im Einsatzgeschehen, für das ich bei dem betroffenen Professor ausdrücklich um Entschuldigung gebeten habe«, sagte die Beamtin. »Wir werden genau prüfen, wie es zu dieser Situation kam, und alles Mögliche dafür tun, um solche Missverständnisse zukünftig vermeiden zu können.«
Melamed glaubt laut seinem Brief, dass die Polizeipräsidentin ihn lediglich aufgesucht hatte, weil er Professor an einer US-amerikanischen Universität sei. »Wäre ich ein Underdog der deutschen Gesellschaft, würde sich niemand dafür interessieren, und sicher würde niemand der Beschwerde Glaube schenken.«
Gegen die Beamten, die den Professor bei dem Einsatz verletzt hatten, wird nun wegen des Verdachts der Köperverletzung im Amt ermittelt. Aus Neutralitätsgründen übernimmt das Polizeipräsidium Köln die Ermittlungen. Der Kriminologe Tobias Singelnstein weißt daraufhin, dass in Deutschland Verfahren wegen Körperverletzung im Amt in nur rund drei Prozent der Fälle zur Anklage gebracht werden.
Melamed resümiert: »Polizeigewalt ist einer der grässlichsten Aspekte der gegenwärtigen amerikanischen Gesellschaft. Sie ist rassistisch und niederträchtig. Sie mögen vielleicht denken, dass die Dinge in Deutschland anders sind - ich bezweifle das aber sehr.« nd/Agenturen
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.