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Deutsch werden - geht das?
Der Journalist Can Merey über Schwierigkeiten bei der Integration und Irrtümer über Türken und die Türkei hierzulande
Mit Afghanistan konnte er abschließen, sagt Can Merey. Zehn Jahre hatte er als Büroleiter der Deutschen Presseagentur (dpa) aus Neu Delhi über Afghanistan berichtet. 2013 stieg er ins Flugzeug und verließ das »Berichtsgebiet«. Fertig. Sein neuer Einsatzort: Istanbul. Hier angekommen, ahnte er noch nicht, dass ihn das Herkunftsland seines Vaters Tosun mehr prägen würde als das Land am Hindukusch. Noch bis Juli 2018 ist Can Merey am Bosporus dpa-Büroleiter. Kurz vor einem Umzug als dpa-Regionalchef nach Washington legte er jetzt ein sehr persönliches Buch vor. Darin berichtet er über seinen Vater Tosun, den Auswanderer mit dem unbedingten Willen, Deutscher zu werden, der in den 1960er Jahren in München Betriebswirtschaft studiert hatte und Karriere als Manager einer deutschen Telekommunikationsfirma machte, sowie über die Ablehnung, die er in dieser Position erfuhr - weil er Türke war. Tosun arbeitete für diese deutsche Firma in Iran und Kairo. Sein Sohn Can wird mit 13 Jahren in Deutschland erstmals als »Kanake« beschimpft. Der Vater kehrt mit 56 Jahren ernüchtert zurück in die Türkei.
Mutter Maria Merey stammt aus Oberbayern und hat in München Volkswirtschaft studiert. Ihr und ihrer Kindheit in einem katholischen Sprengel in den bleiernen 1950er Jahren ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Nach der Hochzeit mit Tosun verweigert der Pfarrer die Sakramente.
Was der Autor über die Einbürgerungsprozedur des Vaters in den Archiven des Landratsamts Rosenheim recherchierte, erstaunt. Bis 1981, insgesamt vier Jahre, dauerte das bürokratische Prozedere für Tosun, der gefühlt deutscher als so mancher Bayer war. Trotz des Studiums in München und seiner Führungspositionen verlangte die Beamtin eine Sprachprüfung sowie eine penible Gesundheitsprüfung und eine Abfrage beim Verfassungsschutz, der ihn als Frau führte. Außerdem die Rückzahlung seines Stipendiums, das er vom Deutschen Akademischen Austauschdienst während des Studiums bekommen hatte. Begründung: Das Geld sei ja eine Art Entwicklungshilfe für einen türkischen, nicht für einen deutschen Staatsbürger gewesen. Die 19 000 DM gab Tosun zurück, die Einbürgerung selbst kostete 2445 DM.
Schon in den 1970ern bemerkte Tosun einen Stimmungswandel gegenüber Türken. »1975 wollte ein Kunde nicht von mir betreut werden, weil ich Türke war. Hass war das noch nicht, eher Herablassung«, erzählt er seinem Sohn. »Städte können die Invasion kaum noch bewältigen«, schrieb der »Spiegel« 1972». «Tore zu - die Türken kommen» titelte die «ZEIT». 1976 erklärten sich Köln, Berlin und Hannover zu «überlasteten Siedlungsgebieten», ein «Türken-Sperrvertrag» genannter Zuzugsstopp trat bei zwölf Prozent Ausländeranteil automatisch in Kraft.
In Iran klärt eine Erzieherin des deutschen Kindergartens die Eltern auf, man könne den kleinen Can nicht aufnehmen, er sei nicht «reinrassig». Tosun ließ sich nach Kairo versetzen, wo die Familie bis 1987 blieb. Auch hier spürte er: «Ich konnte mich anpassen, deutsch sein wie ich wollte - die Leute aus der Stuttgarter Zentrale sprachen mit mir Englisch, weil ich der Türke war.» Sohn Can macht es wie viele Deutsche mit türkischen Eltern: Er nimmt die Fremdbezeichnung «Halbtürke» für sich an - und dreht sie ins Ironische. Ständig, auch in Istanbul, wird seine Identität hinterfragt. Er war der einzige «türkische» Abiturient seines Jahrgangs und hatte Glück, zumindest in jenen Medien, in denen ein Umdenken eingesetzt hatte. Einwanderung war jetzt Thema, einige Redaktionen suchten gezielt Journalisten mit Migrationshintergrund. Der Makel «Halbtürke» wurde da zur Marke.
Das letzte Viertel des Buches versorgt den Leser mit exklusiven Informationen aus verschwiegenen, schwer zugänglichen politischen Zirkeln der Türkei und Deutschlands. Man lernt zudem die Korrespondentenszene deutscher Medien in Istanbul kennen, erfährt, wie es sich anhörte, als F16-Kampfjets der Putschisten im Sommer 2016 die Schallmauer dicht über der Stadt durchbrachen, und man wird darüber aufgeklärt, warum auch deutsche Sicherheitsexperten die Gülen-Bewegung nicht lediglich als Bildungsbewegung einschätzen. Die Türkei sei auf dem Weg in eine Diktatur, warnt Can Merey, aber auch: Nicht alles, was Erdoğan sage, sei falsch. Die Verehrung vieler Deutschtürken für ihn erklärt der Autor mit persönlich erfahrenen Zurückweisungen. Das verletze. Diese Gefühlslage erkennt Erdoğan und nutzt sie. Integration, so Can Merey, sei erst dann gelungen, wenn sich die Deutschtürken hierzulande mehr deutsch als türkisch fühlen könnten.
Larmoyanz ist nicht das Ding von Vater und Sohn. Beide legen Wert auf Analyse und betten die Familiengeschichte ein in größere historische und sozialgeschichtliche Zusammenhänge. Ein unterhaltsames, spannendes und gut lesbares Stück deutsch-türkischer Zeitgeschichte.
Can Merey: Der ewige Gast. Wie mein türkischer Vater versuchte, Deutscher zu werden. Blessing, 319 S., geb., 17 €.
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