Beteiligungsbremser

Bundesregierung beteiligt Öffentlichkeit nur widerwillig an Gesetzesvorhaben

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Einstufung weiterer Länder als sogenannte sichere Herkunftsstaaten ist nur jüngstes Beispiel: Eine Mitwirkung an der Gesetzgebung wird der Zivilgesellschaft von der Regierungspolitik schwer gemacht. Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl, die sich seit vielen Jahren mit ihren Stellungnahmen an der gesellschaftlichen Debatte über Ausländer- und Asylrecht beteiligt und diese auch in Anhörungen zu Gesetzgebungsverfahren einbringt, beklagte sich am Mittwoch: Man habe die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Gesetzentwurf per E-Mail am Dienstag, 11. Juli 2018 um 15:04 Uhr erhalten. Die Frist wurde auf den darauffolgenden Tag, 23:59 Uhr gesetzt. »Das sind weniger als 1,5 Werktage«, beschwerte sich Pro Asyl.

Komplexe Gesetze in kürzester Frist zu bewerten, für die die Beamten der Ministerien in der Regel Monate brauchen, ist für zivilgesellschaftliche Gruppen eine Zumutung. »Die Praxis der extrem kurzen Fristen im Gesetzgebungsverfahren beobachten wir im Asylbereich seit Jahren. Sie zeigt: Eine wirklich inhaltliche Debatte ist nicht gewollt,« kritisiert Bellinda Bartolucci, rechtspolitische Referentin von PRO ASYL. Zumal ein Grund zur Eile im vorliegenden Fall weiterer »sicherer Herkunftsstaaten« nicht zu erkennen sei.

Transparenz und Bürgerbeteiligung machen einen wichtigen Unterschied, wenn es um die Vorzüge der westlichen Demokratie geht. Sie sind auch deshalb wichtig, weil sich im Umfeld der politischen Entscheidungsorte Lobbyisten in großer Zahl tummeln, deren Einfluss auf die Regierungspolitik gleichwohl mehr oder weniger im Dunkeln bleibt. Schätzungen gehen von mindestens 6000 Lobbyisten allein in Berlin aus. Auf größtmögliche Transparenz pochen hier seit langem Organisationen wie LobbyControl oder abgeordnetenwatch.de. Und Schilderungen wie die von Pro Asyl nähren den Verdacht, dass die Regierungspolitik Interessensverbände mit sehr unterschiedlicher Begeisterung in ihre Vorhaben hineinreden lässt.

Recht genau vor einem Jahr entschloss sich die Bundesregierung zu einem ungewöhnlich mutigen Schritt. Alle in Gesetzgebungsverfahren eingegangenen Stellungnahmen von Fachleuten und Verbänden nebst den Gesetzen selbst wurden online öffentlich gemacht. Der Entschluss folgte allerdings nicht freiwilliger Planung, sondern dem Druck, den abgeordnetenwatch.de und FragDenStaat.de zuvor entfaltet hatten. Beide Organisationen hatten rund 17 000 Fälle zusammengetragen, in denen Bundesministerien Interessenvertreter um Stellungnahmen zu geplanten Gesetzentwürfen gebeten hatten. Auf Bitte von abgeordnetenwatch.de beteiligten sich 1600 Bürger an der Kampagne und baten die Ministerien um Auskunft zum Inhalt der Stellungnahmen. Unter der Flut der Anfragen um Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz entschloss sich die Bundesregierung, die Gesetzesvorhaben der Öffentlichkeit online zur Verfügung zu stellen. LobbyControl spricht von einer »legislativen Fußspur«, die in Stellungnahmen zu Gesetzen sichtbar wird. Die Organisation fordert seit langem ein Lobbyregister, das über Interessensvertreter und ihre Auftraggeber Auskunft gibt.

Alle Ministerien und alle Themen - so lautete der Regierungsbeschluss im letzten Jahr. Das ist nicht lange her, geschah aber noch in der vergangenen Legislaturperiode und wohl nicht unbeeinflusst von der damals kurz bevorstehenden Bundestagswahl. Auch heute findet man auf den Portalen der Bundesministerien Hinweise auf laufende Gesetzesvorhaben. Einen Beschluss, der die Hinwendung zur Transparenz in dieser Wahlperiode fortschreiben würde, gibt es aber nicht, wie eine Nachfrage der LINKEN im Bundestag ergab. Die Praxis werde »zum Teil fortgeführt«, heißt es in der Antwort aus dem Bundesinnenministerium. Eine Entscheidung, ob eine einheitliche Veröffentlichung von Gesetzesentwürfen und Stellungnahmen aller Bundesministerien auch in dieser Legislaturperiode erfolgen soll, sei derzeit noch nicht abgeschlossen.

Einen solchen Beschluss umgehend zu fassen, fordert die LINKE die Bundesregierung deshalb auf. Es gebe keinen sachlichen Grund dies nicht zu tun, meinte Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion gegenüber nd. »Ein Rückfall noch hinter den ungenügenden Status Quo« sei völlig inakzeptabel. »Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Transparenz im Regierungshandeln und der parlamentarischen Arbeit.« Dazu gehöre unbedingt auch ein verpflichtendes Lobbyregister im Bundestag, »damit zu erkennen ist, wer schon im Rahmen der Vorarbeiten und der Erarbeitung auf die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung Einfluss genommen hat.«

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