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»Deutscher, wenn wir gewinnen, aber Immigrant, wenn wir verlieren«

Rücktritt von Özil aus der Nationalmannschaft und Rassismus-Vorwürfe setzen den DFB unter Druck

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Mesut Özils krachender Rücktritt aus der Nationalelf bringt die DFB-Spitze in Erklärungsnot und befeuert die Debatte über Rassismus in Deutschland. Mit seinen scharfen Vorwürfen gegen Verbandschef Reinhard Grindel und angeblich fremdenfeindliche Funktionäre hinterließ der 29-Jährige dem Deutschen Fußball-Bund eine schwere Bürde für die weitere Aufarbeitung des WM-Scheiterns. Darüber hinaus dürfte durch Özils emotionale Abrechnung die Diskussion um die Bereitschaft der Deutschen zur Integration von Migranten und deren Nachkommen wieder neu entbrennen. Für seine Abrechnung erntete Özil harte Kritik, aber auch großes Lob.

Özils Entscheidung sei »für die Integrationsbemühungen in unserem Land über den Fußball hinaus ein schwerer Rückschlag«, sagte der frühere DFB-Präsident Theo Zwanziger der Deutschen Presse-Agentur. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sprach von einem »Alarmzeichen, wenn sich ein großer, deutscher Fußballer wie Mesut Özil in seinem Land wegen Rassismus nicht mehr gewollt und vom DFB nicht repräsentiert fühlt«. SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel appellierte »an alle Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichen Wurzeln: Wir gehören zusammen und wir akzeptieren Rassismus never ever.«

In einer dreiteiligen, über die sozialen Netzwerke verbreiteten Erklärung zu seinem Rückzug aus der DFB-Auswahl, mit der er 2014 in Brasilien Weltmeister geworden war, fragte Özil am Sonntag: »Ich wurde in Deutschland geboren und ausgebildet, also warum akzeptieren die Leute nicht, dass ich Deutscher bin?« Und weiter: »Gibt es Kriterien, ein vollwertiger Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle? Meine Freunde Lukas Podolski und Miroslav Klose werden nie als Deutsch-Polen bezeichnet, also warum bin ich Deutsch-Türke? Ist es so, weil es die Türkei ist? Ist es so, weil ich ein Muslim bin?«

Rassismus im internationalen Fußball

Mit diesem Gefühl steht Özil in der internationalen Fußballszene nicht alleine da - andere Stars mit Migrationshintergrund empfinden ähnlich.So schrieb der belgische Nationalspieler und WM-Teilnehmer Romelu Lukaku in einem Gastbeitrag für das Sportportal »The Players' Tribune«: »Wenn es gut lief, las ich Zeitungsartikel und sie nannten mich Romelu Lukaku, den belgischen Stürmer. Wenn es nicht gut lief, nannten sie mich Romelu Lukaku, den belgischen Stürmer kongolesischer Herkunft.« Der französische Nationalstürmer Karim Benzema, der algerische Wurzeln hat, fasste seine Rassismus-Kritik ganz ähnlich zusammen: »Treffe ich, bin ich Franzose. Treffe ich nicht, bin ich Araber.«

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), nannte es »gut, dass sich Özil endlich erklärt«. Trotz Özils türkischer Wurzeln, die er als zentralen Grund für die Einwilligung in das Treffen mit Erdogan nannte, müsse er sich als Nationalspieler aber auch Kritik gefallen lassen, wenn er sich für Wahlkampfzwecke hergebe. Dies dürfe jedoch nicht »in pauschale Abwertung von Spielern mit Migrationshintergrund umschlagen«, betonte Widmann-Mauz.

Özil hatte im Zorn über das Verhalten von DFB-Chef Grindel in der Erdogan-Affäre geschrieben: »In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren.« Er und seine Familie hätten hasserfüllte E-Mails und Drohanrufe erhalten, von Beleidigungen in den sozialen Netzwerken ganz zu schweigen, teilte der 92-malige Nationalspieler mit.

Lob aus Ankara

Während sich der DFB zunächst nicht zu Özils Aussagen äußerte, warteten türkische Regierungspolitiker mit großem Lob auf. »Wir unterstützen die ehrenhafte Haltung unseres Bruders Mesut Özil von Herzen«, erklärte Sportminister Mehmet Kasapoglu. Justizminister Abdulhamit Gül gratulierte dem gebürtigen Gelsenkirchener mit türkischen Wurzeln, weil dieser mit seinem Rücktritt das »schönste Tor gegen den faschistischen Virus geschossen« habe. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin begrüßte Özils Aussage, dass er den türkischen Präsidenten wieder treffen würde.

Die Debatte um die Fotos mit Erdogan hatte die Nationalmannschaft bei ihrer Vorbereitung auf die WM und beim Turnier in Russland verfolgt. Ilkay Gündogan, der sich ebenfalls mit dem türkischen Staatschef getroffen und für Fotos posiert hatte, erklärte noch während des Trainingslagers, er habe keine politischen Absichten verfolgt. Özil indes schwieg wochenlang, ehe er sich am Sonntag mit seinen über mehrere Stunden verteilten Erklärungen zu Wort meldete. Darin bestritt auch er politische Absichten.

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In der Nationalmannschaft muss Bundestrainer Joachim Löw nun nicht nur für die nächsten Länderspiele gegen Weltmeister Frankreich am 6. September und gegen Peru drei Tage später ohne seinen früheren Musterschüler Özil planen. Die Diskussion um den Mittelfeldspieler aber hatte schon länger die sportliche Dimension überschritten und mischte sich auch in die hitzige Asyldebatte.

Rücktrittsforderungen an Präsident Grindel

Auch die Verbandsspitze des DFB steht nun unter gehörigem Druck - insbesondere Präsident Grindel. »Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen«, kritisierte Özil den langjährigen CDU-Bundestagsabgeordneten. Mehrere Parlamentarier, darunter die Bundestagsabgeordneten Renate Künast, Omid Nouripour (beide Grüne) und Frank Schwabe (SPD), forderten den Rücktritt Grindels.

Der Grüne-Abgeordnete Cem Özdemir sagte der »Berliner Zeitung«: »Es ist fatal, wenn junge Deutsch-Türken jetzt den Eindruck bekommen, sie hätten keinen Platz in der deutschen Nationalelf. Leistung gibt es nur in Vielfalt, nicht in Einfalt. So sind wir 2014 Weltmeister geworden. Und Frankreich jetzt.« Agenturen/nd

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