Macrons prügelndes Problem

In Frankreich weitet sich die Ausschreitung des Präsidentenberaters zur Staatskrise aus

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Was als Ausschreitung des machtbesessenen Präsidentenberaters Alexandre Benalla begonnen hatte, weitet sich immer mehr zu einer Staatskrise aus. Vor der parlamentarischen Untersuchungskommission, die ihn am Montag vorgeladen hatte, wälzte Innenminister Gérard Collomb alle Verantwortung auf Benallas Vorgesetzte im Elysée und auf die Pariser Polizeipräfektur ab. Polizeipräfekt Michel Delpuech, der nach ihm unter Eid aussagte, musste einräumen, dass einige hohe Offiziere seines Hauses mit Benalla »gekungelt« und sich so mitschuldig gemacht hätten.

Mitte vergangener Woche hatte die Zeitung »Le Monde« enthüllt, dass der für die persönliche Sicherheit von Präsident Emmanuel Macron zuständige Berater im Elysée Alexandre Benalla am 1. Mai an der Seite von Polizisten Demonstranten der Bewegung »La France insoumise« angegriffen und zwei von ihnen zusammengeschlagen hatte. Dabei war er mit einen Polizeihelm, eine Armbinde mit der Aufschrift »Police« und einem Polizeifunkgerät ausgestattet. Wie er beantragt hatte und wie ihm sein Vorgesetzter in Elysée und die Polizeipräfektur erlaubt hatten, durfte er die Polizeiaktion eigentlich nur als Beobachter verfolgen. Dafür war er mit dem Helm versehen worden. Woher er die restliche Polizeiausrüstung hatte, muss noch geklärt werden, ebenso wer ihm einen Waffenschein ausgestellt hat, den ihm vor Monaten das Kabinett des Innenministers verweigert hatte.

Dass der »Beobachter« selbst auf Demonstranten eingeprügelt hat, ging aus Videoaufnahmen hervor, die ein Anhänger der Bewegung »La France insoumise« gedreht und dann ins Internet gestellt hat. Hier wurde Benalla, den alle Beobachter zunächst für einen Polizisten in Zivil gehalten hatten, erst Anfang vergangener Woche durch eine »Le Monde«-Journalistin identifiziert.

Der 26-jährige Alexandre Benalla hat einen Master-Abschluss in Jura und kam über die Arbeit bei privaten Sicherheitsdiensten zur Sozialistischen Partei, wo er zunächst die Absicherung der Parteivorsitzenden Martine Aubry und dann ihres Nachfolgers François Hollande organisiert hat. Zu Emmanuel Macrons Bewegung »En marche« stieß er unmittelbar nach deren Gründung. Den ganzen Präsidentschaftswahlkampf über war er für Macrons persönliche Sicherheit zuständig. Wie andere enge Mitarbeiter aus dieser Zeit wurde er für sein Engagement mit einem Posten im Elysée im unmittelbaren Umfeld des neugewählten Präsidenten belohnt. Für Benalla wurde extra die Funktion eines Sicherheitsbeauftragten geschaffen, die es unter früheren Präsidenten nie gegeben hat, weil dafür eigentlich eine Spezialeinheit von als Personenschützer speziell ausgebildeten Polizisten und Gendarmen unter dem Kommando eines hohen Offiziers zuständig ist.

Doch wie auf vielen Gebieten, so hat Macron auch hier die bisherigen Regelungen außer Kraft gesetzt. »Nachdem er das Elysée mit den zu allem entschlossenen ›Macron-Boys‹ an seiner Seite wie ein Kommandounternehmen erobert hat, glaubt Macron jetzt auch die Macht so ausüben zu können«, schätzt ein Kommentator ein. Andere vergleichen das »Benallagate« schon mit der Watergate-Affäre, über die USA-Präsident Nixon gestürzt ist. Emmanuel Macron hat sich gemäß seinem Grundsatz, nie unter äußerem Zwang zu reagieren, bisher noch nicht selbst zu der Affäre geäußert. Doch sein Kabinettschef Patrick Strzoda, der am 2. Mai über das Fehlverhalten von Benalla informiert wurde, hat nach Rücksprache mit dem auf einer Reise in Australien weilenden Präsidenten entschieden, den Berater für zwei Wochen ohne Gehalt vom Dienst zu suspendieren. Er habe »seine Befugnisse überschritten und sich eines Mitarbeiters des Präsidenten, von dem Unfehlbarkeit erwartet wird, unwürdig erwiesen«, wurde ihm schriftlich mitgeteilt und im Wiederholungsfall die Entlassung angedroht. Damit glaubte man im Elysée die Sache aus der Welt geschaffen zu haben.

Nach der Enthüllung in der Presse zweieinhalb Monate später reagierte man panisch, zumal sich jetzt die Einschläge mehr dem Elysée nähern und den Präsidenten selbst bedrohen. Mit Benalla und einem Freund, der bei der Bewegung »En marche« als Sicherheitsberater besoldet ist und der am 1. Mai zusammen mit seinem Freund handgreiflich geworden ist, wurden über das vergangene Wochenende auch drei Polizeioffiziere in Untersuchungshaft verhört und dann formal wegen »Amtsmissbrauch« und »gemeinschaftlicher Gewaltanwendung« unter Anklage gestellt. Die Offiziere hatten vor Tagen Aufnahmen der polizeilichen Videoüberwachung der Aktion des 1. Mai kopiert und Benalla ausgehändigt, damit der seine Verteidigung vorbereiten konnte. »Der ist wie immer entsprechend forsch aufgetreten und die Polizisten fürchten einen Karriereknick, wenn sie es sich mit dem Elysée verscherzen«, erklärt ein Polizeigewerkschafter ihr Verhalten.

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