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Wahlkampfauftakt im Bundestag
Kanzler appelliert an Parlament, Gesetze zu beschließen und erntet Generalabrechnungen
Berlin. Die staatstragenden Reden lieferten am Mittwoch im Bundestag neben dem Kanzler der Chef der Fraktion der Kanzlerpartei SPD, Rolf Mützenich, und Außenministerin Annalena Baerbock. Die Grünen-Politikerin war für ihren Parteifreund, den in Lissabon festsitzenden Wirtschaftsminister Robert Habeck, eingesprungen. Noch-Regierungschef Olaf Scholz gab an diesem 13. November die letzte Regierungserklärung seiner Amtszeit ab, in der er auch ankündigte, er werde am 11. Dezember die Vertrauensfrage anmelden, damit das Parlament am 16. Dezember darüber abstimmen könne.
Scholz verteidigte die Entlassung von Finanzministers Christian Lindner (FDP) und das damit verbundene Aus der Ampel-Koalition als »unvermeidlich«. Gleichzeitig warnte er vor einer Spaltung des Landes und rief dazu auf, in der Politik weiter auf Kompromisse zu setzen. Insbesondere appellierte er an die Abgeordneten, insbesondere an jene von CDU und CSU, gemeinsam noch wichtige Vorhaben der Ampel zu beschließen: »Lassen Sie uns da, wo wir einig sind, bis zur Wahl auch einig handeln. Es wäre gut für unser Land.«
An erster Stelle nannte der Kanzler das sogenannte Steuerentwicklungsgesetz, das für »mehr Netto vom Brutto« sorgen und »die Fleißigen« ab 1. Januar von Abgaben entlasten soll, die Lohnerhöhungen auffressen. Auch der geplanten Erhöhung des Kindergelds um fünf Euro solle das Parlament zustimmen, ebenso Teilen der vorgesehen Regierungsinitiative für mehr Wachstum und dem Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor politischer Einflussnahme.
Nur im letzten Punkt versprach Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) Kooperation. Bei der »weiteren Unterstützung der Ukraine« will er weit über das hinausgehen, was die Ampel bisher zugesagt hat, vor allem will er Taurus-Marschflugkörper an Kiew liefern, die weit auf russisches Territorium schießen können. Diesbezüglich hatte Scholz seine Weigerung verteidigt und dies erneut mit seiner Verantwortung dafür begründet, dass Deutschland nicht zur Kriegspartei wird. Deutschland müsse weiter alles gegen eine Eskalation des Krieges in der Ukraine tun, betonte der Kanzler in seiner Erklärung.
Weiter hob er erneut hervor, man könne nicht auf notwendige Investitionen »für Modernisierung unserer Volkswirtschaft« und in die Infrastruktur wie auch in soziale Sicherheit zugunsten von Militärausgaben und Ukraine-Hilfen verzichten. »Es kann nicht sein, dass dies dazu führt, dass es zu Einschnitten bei Rente, Gesundheit und Pflege kommt.« Scholz bat in dem Zusammenhang erneut um Zustimmung zum Plan, das Rentenniveau im Rahmen des eigentlich noch mit der FDP vereinbarten Rentenpakets II zu stabilisieren. Alles andere käme einer »Rentenkürzung durch Unterlassen« für künftige Rentner gleich.
Merz ließ sich gleichwohl nicht auf irgendwelche Verhandlungen über Inhalte ein und lieferte eine mit persönlichen Attacken gegen Scholz gespickte Generalabrechnung mit der Ampel-Koalition mit Fokus auf SPD und Grünen. Der Unions-Kanzlerkandidat sprach dem Amtsinhaber jede Regierungs- und Führungskompetenz ab. Der lebe in seiner »eigenen Welt«, die nichts mit der Realität zu tun habe. Man stehe nicht als »Auswechselspieler« zur Verfügung, nach der Vertrauensfrage könne man aber noch über einige Projekte reden, so Merz. Er stellte klar: »Wenn Sie jetzt heute an unsere gemeinsame Verantwortung appellieren und einzelne Vorhaben mit uns zu Ende bringen wollen, sage ich: Sie haben hier keine Bedingungen zu stellen.«
Der gefeuerte Ex-Finanzminister Lindner warf Scholz vor, mit der Forderung nach Aussetzen der Schuldenbremse den Koalitionsbruch provoziert zu haben. »Das war die Forderung nach politischer Unterwerfung oder provoziertem Koalitionsbruch«, sagte er und fügte hinzu: »Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung.« Selbstredend stellte der FDP-Chef sein Festhalten am Dogma des Neuverschuldungsverbot einmal mehr als Dienst an künftigen Generationen dar.
Mit Blick auf das Bürgergeld erklärte Lindner abermals, es sei eben nicht gerecht, wenn man fürs »Nichtstun« genauso viel Geld erhalte wie für harte Arbeit. Dass dies an zu niedrigen Löhnen liegen könnte, kommt ihm weiterhin nicht in den Sinn. Solche Äußerungen sind es, die SPD-Fraktionsschef Mützenich veranlassten, am Donnerstag festzustellen: »Ich hatte 2021 gedacht, der Liberalismus würde in seiner ganzen Breite in die Koalition eintreten, aber der soziale Liberalismus war nicht vertreten.«
Bis zur Neuwahl am 23. Februar bleiben noch gut 100 Tage für den Wahlkampf. Auf die organisatorischen Schwierigkeiten, gerade für kleine Parteien, die für ein Antreten Tausende Unterschriften sammeln müssen, wies die Linke-Gruppenvorsitzende Heidi Reichinnek hin. Sie bedankte sich vorab bei den 500 000 ehrenamtlichen Wahlhelfern und bei den Postzustellern, die im Weihnachtsgeschäft auch noch Wahlbenachrichtigungen verteilen müssen.
Insgesamt war sowohl die Regierungserklärung als auch die anschließende zweistündige Debatte faktisch der Auftakt zum Wahlkampf. Am Schlagabtausch beteiligten sich auch die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Bayern, Stephan Weil (SPD) und Markus Söder (CSU).
Ob es bei der insbesondere von der Union an den Tag gelegten Härte bleibt, bleibt abzuwarten. Denn letztlich dürfte es höchstwahrscheinlich erneut zu einer Großen Koalition zwischen Union und SPD kommen. Zwar liegen CDU und CSU in den Umfragen derzeit mit stabil um die 30 Prozent vorn. Sie sind damit aber weit von einer eigenen Mehrheit entfernt.
Die SPD als stärkste Regierungspartei liegt derzeit mit 16 bis 18 Prozentpunkte auf Platz 3 hinter der AfD. Die Grünen können nach aktuellem Stand mit elf bis zwölf Prozent rechnen – und konkurrieren bereits erkennbar mit der SPD um die Rolle des künftigen Juniorpartners der Union.
Die FDP kratzt in den Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde, Die Linke liegt klar darunter, kommt aber momentan wieder auf vier statt drei Prozent. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnte mit Werten von aktuell fünf bis neun Prozent den Einzug in den Bundestag schaffen.
Erstmals wird es in einem Wahlkampf vier Kanzlerkandidaten geben. Nur bei Amtsinhaber Scholz ist noch nicht klar, ab wann er sich offiziell so nennen darf. Die Parteispitze beteuert zwar, dass er es zweifellos werde. Der Vorstand verzichtete aber in seiner ersten Sitzung nach dem Ampel-Aus am Montag aber darauf, ihn formell zu nominieren – und ließ damit die innerparteiliche Debatte weiterlaufen, ob er der Richtige ist.
Viele in der SPD glauben, dass man mit Verteidigungsminister Boris Pistorius als dem derzeit beliebtesten deutschen Politiker besser fahren würde. Die Fraktionsspitze um Mützenich steht aber offenbar fest zu Scholz, ebenso der neue Generalsekretär Matthias Miersch.
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