Ein Korea-Szenario für die Ukraine?

In den USA wird immer lauter über einen Waffenstillstand und mögliche Gebietsabtretungen im Ukraine-Krieg gesprochen

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 4 Min.
Wolodymyr Selenskyj wird kein Fan des neuen US-Präsidenten Donald Trump werden. Doch seine Ukraine ist von den USA abhängig und damit auch von Trumps Ideen, den Krieg zu beenden.
Wolodymyr Selenskyj wird kein Fan des neuen US-Präsidenten Donald Trump werden. Doch seine Ukraine ist von den USA abhängig und damit auch von Trumps Ideen, den Krieg zu beenden.

Noch nie ist im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg das Wort Korea so oft gefallen, wie in den vergangenen Wochen. Und dieses Mal ist die Rede nicht von den nordkoreanischen Truppen, die in Russland in den von der Ukraine besetzten Gebieten eingesetzt werden sollen oder bereits eingesetzt sind. Die Rede ist vom koreanischen Waffenstillstand 1953.

Damals wurde einfach ein Waffenstillstand entlang der zu dieser Zeit aktuellen Frontlinie vereinbart. Und der hält bis heute – noch. Formal herrscht immer noch Krieg zwischen den beiden Koreas. Der Waffenstillstand von damals könnte Vorbild für ein Szenario im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sein, so die aktuelle Debatte.

Trump will Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden beenden

Im Wahlkampf hatte der zukünftige US-Präsident Donald Trump davon gesprochen, den Ukraine-Krieg binnen 24 Stunden zu beenden. »Das wird leicht«, behauptete Trump. Doch seit seiner Wahl hüllt sich Trump bezüglich der Ukraine in Schweigen und lässt alle im Unklaren, wie er als Präsident mit dem Krieg und dessen Ende umgehen will.

Ihor Reiterowytsch geht davon aus, dass Trump Russland und der Ukraine einen Vorschlag machen wird, der kein Kriegsende, wohl aber einen Waffenstillstand bedeutet. Und den, so der Politologe der Kiewer Taras-Schewtschenko-Universität gegenüber dem Radiosender NV, müssten möglicherweise nicht einmal Politiker unterzeichnen. »Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit«, so Reiterowytsch, könnte die Vereinbarung analog dem koreanischen Waffenstillstand gehandhabt werden: Dieser war damals von Generälen und nicht von Politikern beider Seiten unterzeichnet worden.

Krieg könnte an Frontlinie eingefroren werden

Der Plan des designierten US-Präsidenten, der von drei Trump-Mitarbeitern skizziert wurde, sieht nach Informationen des britischen »Telegraph« vor, die derzeitige Frontlinie einzufrieren und die Ukraine zu verpflichten, ihre Ambitionen auf einen Nato-Beitritt für 20 Jahre auf Eis zu legen. Europäische Truppen, so der »Telegraph«, sollen nach diesem Plan eine 800 Meilen (1300 Kilometer) lange entmilitarisierte Zone schützen.

Die Ukraine besteht bislang darauf, Gespräche mit Russland nur zu ihren Bedingungen zu führen. Und die beinhalten die Rückeroberung besetzter Gebiete. Direkt nach der US-Wahl rief der Rada-Abgeordnete Jewgenij Schewtschenko Präsident Wolodymyr Selenskyj auf seinem Telegram-Kanal auf, endlich mit Russland zu reden. »Los, Wowa«, schrieb Schewtschenko, »es ist Zeit, den Dialog zu beginnen.«

US-Militärs sprechen sich für Verhandlungen aus

Auch hochdekorierte US-amerikanische Militärs sprechen sich für Verhandlungen aus. Gegenüber dem Portal NV erklärt der Vier-Sterne-General und ehemalige Oberbefehlshaber der Nato in Europa, Wesley Clark, dass das Ziel, die territoriale Integrität wieder herstellen zu wollen, zwar legitim sei. Dieses Ziel müsse jedoch mit den Nato-Partnern abgestimmt sein. Andernfalls, so Clark, könnte es für die Ukraine ratsam sein, einen klaren und realistischen Zielkatalog zu entwickeln. »Ich denke, man kann immer mit dem Gegner sprechen, wenn du deine eigene Position klar hast«, antwortete Clark auf die Frage, ob er in der aktuellen Situation an mögliche Verhandlungen mit Russland glaube.

Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, so der ehemalige Admiral der US-Marine, James Stavridis, werde ähnlich wie der Korea-Krieg enden. Und dies bedeute, dass 20 Prozent des ukrainischen Territoriums wohl unter russischer Kontrolle bleiben werden, so Stavridis gegenüber dem US-Nachrichtenmagazin »Newsweek«.

Ukrainer können sich Gebietsabtretungen vorstellen, Selenskyj nicht

Polens Premierminister Donald Tusk erwartet nach Informationen der ukrainischen Nachrichtenagentur UNN zeitnah eine US-amerikanische Erklärung, die einen Termin für einen möglichen Waffenstillstand beinhalten könnte.

Auch in der Ukraine selbst wächst die Zahl der Menschen, die zu territorialen Zugeständnissen bereit sind. Laut einer aktuellen Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie, die zwischen September und Oktober 2024 durchgeführt wurde, war jeder dritte Befragte (32 Prozent) dafür. Zwischen Mai 2022 und Mai 2023 lag die Zustimmung noch bei acht bis zehn Prozent.

Präsident Selenskyj hält von den Korea-Plänen für die Ukraine nichts. »Wir brauchen mehr Waffen und keine Unterstützung bei Verhandlungen«, sagte er in seiner Rede beim EU-Gipfel in Budapest am 7. November.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.