Braunkohle als Abfallveredler

In Freiberg wurde ein Verfahren entwickelt, das neue Wege für eine ganze Region eröffnet

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutschland liegt auf Platz zwei einer europäischen Negativliste beim Müllaufkommen. Allein die Haushalte produzieren jährlich 45,5 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle. Und selbst von dem, was dabei im Gelben Sack landet, werde fast die Hälfte nicht recycelt, sondern schlicht verbrannt, ermittelte die Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung.

Dabei ginge es auch anders - sogar dank Braunkohle. Die würde dabei jedoch nicht verfeuert, sondern mit jenem Kunststoffabfall über chemische Prozesse zu kohlenwasserstoffhaltigen Grundstoffen recycelt. So zum Beispiel zu Olefinen, von denen die deutsche Kunststoffindustrie jährlich zehn Millionen Tonnen benötigt. Gegenwärtig gewinne man diese aus Erdöl, berichtet Prof. Dr.-Ing. Bernd Meyer von der TU Bergakademie Freiberg in Sachsen. Der Verfahrenstechniker, der zugleich am Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS in Halle den Bereich Chemische Umwandlungsprozesse leitet, gehört weltweit zu den Vorreitern bei der stofflichen Nutzung von Braunkohle. »Denn sie ist eine sehr wertvolle Ressource als Kohlenstoffquelle«, betont er. »Nur müssen wir das erst wieder erkennen lernen.« Dabei seien alle chemischen Zentren Deutschlands einst Zentren der Kohlechemie gewesen, so Meyer. Erst wegen der zunehmenden Verfügbarkeit von damals preiswertem Erdöl habe sich die Chemie dann auf diese Basis umgestellt.

An seinem sächsischen Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen empfängt Meyer derzeit Experten aus aller Welt, um ihnen einen neuen Versuchsreaktor zu demonstrieren, der für Deutschland zu einem Exportschlager werden kann. Denn mit seinem Team entwickelte er die innovative Vergasungstechnologie COORVED, dank der aus Kunststoffmüll unter hohem Druck Synthesegas entsteht, das dann zu Basis-Chemikalien weiterveredelt wird. Da bei »solch einem energieaufwendigen Kreislauf Wandlungsverluste auftreten, wobei die Hälfte des über den Kunststoff eingebrachten Kohlenstoffs verloren« gehe, müsse man diese »Kohlenstofflücke« im Prozess wieder auffüllen, so Meyer. Und diesen Part weist er der Braunkohle zu. Denn mit ihr habe man einen »stabilen Grundstoff in gleichmäßig hoher Qualität, der zugleich die teils gewaltigen Qualitäts- und Preisschwankungen bei Abfall ausgleicht«.

Die Arbeiten hierzu sind in Freiberg so erfolgreich fortgeschritten, dass 2022 in Leuna nach derselben Technologie ein Pilotreaktor seine Arbeit aufnehmen soll. Dieser werde deren Praxistauglichkeit im Industriemaßstab beweisen, erwartet Meyer. Leuna im Süden Sachsen-Anhalts gilt dabei als Standort für eine derartige Anlage prädestiniert, weil im Umfeld nicht nur potenzielle Synthesegasabnehmer vorhanden sind sondern auch die gesamte Infrastruktur, weshalb die Entwicklungskosten optimal eingesetzt werden können.

Eben erst gab Sachsen-Anhalt 15 Millionen Euro für die Errichtung dieser Fraunhofer-Pilotanlage namens CARBONTRANS frei. Weitere 15 Millionen Euro erhofft man sich vom Bund. Auch der Energiekonzern RWE beteiligt sich finanziell. Und die Bergleute von Mibrag in Zeitz, die in Sachsen-Anhalt und Sachsen noch je einen Tagebau betreiben, liefern unentgeltlich die benötigte Braunkohle und stellen zugleich die Infrastruktur bereit.

Für Meyer können damit perspektivisch deutschlandweit nicht nur 30 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr rein stofflich genutzt werden, statt sie in Kraftwerken zu verbrennen. Der Verfahrenstechniker sieht auch anspruchsvolle Arbeitsplätze entstehen. In der mitteldeutschen Bergbauregion erwüchse ein Strukturwandel, der die Menschen und ihre Kompetenzen gezielt mitnimmt. »Und dies mit Technologien, die wir auch exportieren können«, versichert Meyer. Denn die ganze Welt ersticke an Verpackungsmüll.

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