Wie eine Gehirnoperation

Was sich bei Mesut Özil in einem Jahrzehnt geändert hat und wer alles hinter seinen Geschäften steckt

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Ob Mesut Özil manchmal an die Zeit zurückdenkt, als seine Karriere Fahrt aufnahm? Es geschah am letzten Tag der Winter-Transferperiode 2008, dass ein beim FC Schalke 04 wegen gescheiterter Vertragsgespräche in Ungnade gefallenes Talent zum SV Werder wechselte. Sein Aufstieg zum Nationalspieler, Weltmeister und Weltstar begann in Bremen, wo die Umgebung die Entwicklung eines sensiblen Feingeistes begünstigte. Da war ein Bundesligist, der sich damals fast auf Augenhöhe mit dem FC Bayern bewegte, weil Trainer Thomas Schaaf und Manager Klaus Allofs einen passablen Gegenentwurf zum gnadenlosen Verdrängungswettbewerb an der Säbener Straße erschaffen hatten: Die Werder-Familie garantierte sensiblen Hochbegabten eine besonders einfühlsame Förderung.

Der zierliche Jungprofi behandelte das Spielgerät bald so kunstvoll, dass dem Publikum im Weserstadion die Münder offen standen. Seine fast körperlose Spielweise passte zum schüchternen Naturell eines Sohnes türkischer Eltern, der Ende 2007 die türkische Staatsangehörigkeit abgelegt hatte, um in Deutschland eingebürgert zu werden. Der junge Mann konnte sich in der norddeutschen Tiefebene mit deren bodenständigen Bewohnern in jeder Hinsicht frei entfalten. Als er seine damalige Lebensgefährtin Anna-Maria Connor, der Schwester der Popsängerin Sarah Connor, zu Jugendspielen beim TSV Ganderkesee begleitete, wo deren Sohn aus einer früheren Beziehung kickte, ließen ihnen die Menschen einfach in Ruhe.

»Auffällig war, dass er entfernt vom Spielfeldrand zugeguckt hat. Er hat auch noch Fotos mit der Mannschaft gemacht. Er war angenehm und zurückhaltend«, erinnert sich der Jugendtrainer aus dem niedersächsischen Vorstadtklub. Einmal habe der Werder-Spielmacher dem Torwart zu einer guten Leistung gratuliert, doch ansonsten mit den Kindern nicht viel gesprochen. Geredet haben für den scheuen Zeitgenossen schon vor einem Jahrzehnt meist andere. Etwa sein Vater Mustafa. Oder sein älterer Bruder Mutlu. Oder sein damaliger Berater Reza Fazeli.

Der genial veranlagte Kicker, aber eher schlicht angelegte Charakter brauchte damals noch kein verzweigtes Konsortium, um die Geschäftstätigkeit oder die Einkommensströme zu regeln. Um seinen Kicker zu positionieren, reichten Fazeli meist Telefonate mit Journalisten. Er hat dann herausgestellt, dass sein Klient mehr mitbringe als beispielsweise Piotr Trochowski, der auf Özils Lieblingsposition im offensiven Mittelfeld in der Nationalmannschaft nicht überzeugte. Bundestrainer Joachim Löw begeisterte sich tatsächlich alsbald mehr für den Bremer als für den Hamburger Taktgeber. Um seine Philosophie durchzubringen, eignete sich Özil bereits zur WM 2010 viel eher als Trochowski.

Wer verstehen will, was mit ihm seitdem passiert ist, muss sich vergegenwärtigen, wie alles einmal anfing. Wenn in der überladenen Debatte renommierte Politiker ernsthaft behaupten, da habe einer einen Aufschrei von sich gegeben, verkennen sie, dass Özil eigentlich immer nur eines antrieb: besonders gut Fußball zu spielen. Was konnte er dafür, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Länderspiel Fotos produzierte, die ihn in den Rang eines Integrationsbotschafters erhoben, der er doch nie war. Schon da griff eine Fernsteuerung, die in die falsche Richtung führte.

Nun steht er auf noch viel fatalere Art im Mittelpunkt einer Staatsaffäre, die eine in der Integrationsfrage zunehmend zerrissene Gesellschaft weiter spaltet. Dabei kann der Profi die auf Englisch gehaltene Trilogie zur Erdogan-Affäre und seinem mit Rassismusvorwürfen begleiteten Rücktritt aus der Nationalmannschaft inklusive Schelte des DFB-Sponsors Mercedes und des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel unmöglich selbst verfasst haben. Englisch war nicht Özils Wahlfach auf der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen-Erle. Und bis zu seinem ersten Interview auf Englisch vergingen nach seinem Wechsel von Real Madrid zum FC Arsenal 2013 noch drei Jahre.

Seitdem aber hat sich in seinem Umfeld eine Menge getan. Hinter dem 29-Jährigen steht der Spielerberater Erkut Sögüt, nachdem zeitweise Vater Mustafa die Geschäfte geführt hatte. Das eng mit der Familie verwobene Konstrukt funktioniert so: Der aus Hannover stammende Sögüt leitet die Agentur »Family and Football«, die auch noch die Nationalspieler Ilkay Gündogan und Shkodran Mustafi vertritt. Der mit Masterabschlüssen im Wirtschaftsrecht in Bochum, Istanbul oder London aufwartende Jurist tritt als lizenzierter Berater in der von Mustafa Özil gegründeten Gesellschaft »Özil Marketing« auf, die seit geraumer Zeit alle Vermarktungsfragen behandelt. Die Zusammenarbeit zwischen Özil und Sögut kam 2012 nach einem Zusammentreffen in Madrid zustande.

Der türkischstämmige Strippenzieher gilt als äußerst zielstrebig und intelligent und ist ferner bei der Agentur »Arp Sportmarketing« tätig, wo er das »Team UK« leitet. Verwunderlich nur: Als einer der Arp-Geschäftsführer tritt mit Harun Arslan der langjährige Löw-Berater auf, der Sögüt erst zum Einstieg ins Beratermilieu verholfen haben soll. Kommt deshalb der Bundestrainer in Özils Generalschelte gar nicht vor? Die »Süddeutsche Zeitung« fragte nicht zu Unrecht: »Wie kann das sein, dass der Bundestrainer einen Berater hat, dessen Mitarbeiter den von Löw so geschätzten und geförderten Nationalspieler Özil betreut, der zugleich aber offenbar der Befriedung der sogenannten Erdogan-Affäre massiv im Wege steht?«

Aus Verbandskreisen heißt es, Sögüt habe die aus den Erdogan-Fotos entstandenen Missverständnisse nie aus der Welt schaffen wollen. Weil er jene Eskalation vorantrieb, um seinen Mandanten von Deutschland loszulösen, wie er sich selbst mit dem Hauptwohnsitz London von seinem Geburtsland abgenabelt hat? Es gebe also noch eine Menge Aufklärungsarbeit, die vor allem Sögüt leisten könnte.

Presseanfragen blockt der Jurist, dessen Promotion sich vor Einführung des Video-Assistenten mit der »Überprüfbarkeit von Tatsachenentscheidungen des Schiedsrichters« beschäftigte, aktuell besser ab als die Abwehr der deutschen Nationalmannschaft im letzten WM-Gruppenspiel einen südkoreanischen Konter. Dafür hat Sögüt einmal in einem Interview mitgeteilt, wie sein Metier funktioniert: »Spieler zu beraten, ist wie eine Gehirnoperation.« In der Causa Mesut Özil verlief sie wohl besonders umfassend.

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