Die Eigenart des Webens

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt eine Retrospektive zur Bauhauskünstlerin Anni Albers

  • Radek Krolczyk
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist doch einigermaßen erstaunlich, wie viele Bücher sich im Vorfeld des Weimarer Bauhaus-Jubiläums im nächsten Jahr den wenigen Frauen widmen, die dort unterrichteten oder unterrichtet wurden. Oftmals war der Übergang fließend und die Schülerinnen wechselten nach ihrem Abschluss in die Position der Lehrerin. Seltsam ist, dass die Frauen des Bauhauses bisher selten zentrales Thema gewesen sind. Das ist umso seltsamer, als manche von ihnen in ihrer jeweiligen Disziplin sehr einflussreich geworden sind. Nun klingen die angekündigten Titel wie »Bauhaus-Frauen«, »Jeder hier nennt mich Frau Bauhaus« oder »Die Frauen um Walter Gropius« so, als handele es sich um ein Spezialthema. Zu dem sind die Protagonistinnen durch die lange Nichtbeachtung allerdings überhaupt erst geworden.

Eine der Ausstellungen dieses Jahres widmet sich Anni Albers, einer zentralen Figur in der Entwicklung der Webkunst. Selten jedoch verstand man ihre Webarbeit tatsächlich künstlerisch, sie galt oftmals als innovative Gestalterin von Gebrauchsstoffen. In der Vergangenheit bezog man sie natürlich oft auf ihren Mann, den Maler Josef Albers. Ihm wurde in Bottrop ein Museum gewidmet, ihr immerhin nun eine dreimonatige Ausstellung in Düsseldorf in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Man sieht daran, welch großer Unterschied zwischen Kunstgeschichte und Kunstgeschichtsschreibung besteht. Denn für die Überführung textiler Arbeit in den Bereich der bildenden Kunst bedeutete Albers späteren Generationen von Textilkünstlerinnen und -künstlern sehr viel. Ihr Einfluss auf die US-amerikanische Fiber-Art-Bewegung der 1970er Jahre oder den heutigen New Materialism, Nähmaschinenzeichnungen und Softsculptures kann nicht oft genug betont werden. Den Kunstbezug merkt man bereits beim Betrachten ihrer Gewebe. Sie selbst betonte den Unterschied zwischen ihren Gebrauchsstoffen und ihren künstlerischen Arbeiten oft. Man erkennt in den von ihr entworfenen Stoffen schnell die Bezüge zur Malerei des frühen 20. Jahrhunderts, zu Suprematismus, Farbfeldmalerei und später dann zum abstrakten Expressionismus. Ab den 50er Jahren unternahm sie zahlreiche Reisen nach Mexiko, von denen sie indigene Textilien mitbrachte. Gewebeart, aber auch Muster und Farben gingen in ihre eigenen Gebrauchstextilien und Stoffbilder ein. In den 20er Jahren war sie eine höchst aktive Protagonistin am Bauhaus in Weimar - zu dieser Zeit ein Konzentrationspunkt der Kunstszene.

Betrachtet man die Werke von Paul Klee oder eben Josef Albers aus dieser Zeit, bemerkt man den Austausch und die Auseinandersetzung um formale Fragen. Ein Kunstwerk entsteht eben niemals in einem abgeschlossenen Atelier, es entsteht zwischen den Ateliers. Anni Albers schien es stets um die Eigenart des Webens gegangen zu sein. In ihrem Essay »Arbeiten mit Material« schrieb sie 1937 im amerikanischen Exil: »Neben Oberflächenqualitäten wie rau und glatt, matt und glänzend, hart und weich umfasst das Weben auch Farbe, und infolge der Gewebekonstruktion als dominierendes Element Textur.« Das war natürlich ein bedeutender Unterschied, zum Beispiel zu Klees lasierenden Farbflächen.

Anni Albers wurde 1899 in Berlin geboren. Sie studierte ab 1922 am Bauhaus in Weimar, dann in Dessau unter anderem bei László Moholy-Nagy und Josef Albers, den sie 1925 heiratete. Diese Lehrer-Schülerin-Konstellation ist mit Sicherheit ein Grund dafür, weshalb sich lange Zeit sein Ruhm über den ihren begründen ließ.

Weberei studierte sie zunächst bei Gunta Stölzl, deren Lehrstuhl sie 1931 schließlich selbst übernahm. Diese Aufgabe wurde ihr als Frau nahegelegt und sie nahm sie zunächst widerwillig an, bevor sie der Möglichkeiten des Webstuhls als materialem Zeicheninstrument gewahr wurde. Nach der Machtübernahme der Nazis flohen Anni und Josef Albers in die USA und unterrichteten an der Reformkunstschule Blackmountain College in North Carolina. Mehrere Deutsche Immigranten fanden sich dort im Lehrkörper wieder, darunter auch einige Bauhäusler wie Lyonel Feininger und Walter Gropius. 1950 erhielt Josef Albers eine Lehrstelle an der Universität Yale, das Paar zog nach Connecticut und Anni Albers arbeitete dort als freie Weberin, schrieb einige Aufsätze, lehrte und hielt Vorträge. Im Alter widmete sie sich vermehrt der Zeichnung und Grafik auf Papier.

Weben ist eine in vielerlei Hinsicht schwere Kunstpraxis. »Um ein Gewebe herzustellen, bedarf es des Zusammenspiels von Hand, Auge und Maschine sowie der koordinierten Unterstützung des Gehirns, das den Arbeitsablauf versteht, plant und leitet«, schreiben Ann Coxon und Maria Müller-Schareck in ihrem Katalogbeitrag. In ihren Papierarbeiten setzt sie mit anderen Mitteln ihre Textilarbeit fort, und man merkt beim Betrachten, dass sie ihre Fäden immer schon als Linien verstanden hatte. Sie selbst nannte es »event of the thread«, »Ereignis der Fadens«. 1985, also rund zehn Jahre vor ihrem Tod, stellt sie enttäuscht fest: »Ich meine, wenn eine Arbeit mit Fäden entsteht, dann wird sie als Handwerk betrachtet; auf Papier wird sie als Kunst angesehen. Drucke verliehen mir größere Freiheit der Darstellung. So kommt die Anerkennung leichter und glücklicher, das langersehnte Schulterklopfen.«

Bis 9. September, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

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