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MC5: Der Sound des Fließbands
Ein letztes Album erinnert an die Punk- und Heavy-Metal-Pioniere MC5
Auf der Bühne schlugen MC5 über die Stränge wie sonst nur noch Iggy & The Stooges. Aber bei ihnen ging es nicht nur um die üblichen Teenagerbefindlichkeiten und den hedonistischen Rock-’n’-Roll-Nonsens, sondern um die Revolution. »Der brutale, gewalttätige Rock ’n’ Roll peitscht die Zuhörer auf die Straßen, bis sie schreien, kreischen und alles niederreißen, was die Menschen zu Sklaven macht«, so hätte es ihr Manager John Sinclair jedenfalls gern gehabt. Unter seiner Ägide avancieren MC5 für einige Jahre zur linken Vorzeigeband.
Die beiden Proleten Fred Smith und Wayne Kramer kommen aus Lincoln Park, einem Vorort von Detroit, der »Motor City«, und sind entsprechend sozialisiert. Mitte der 60er Jahre besuchen sie jedes Wochenende Dragster-Rennen und spielen Gitarre in konkurrierenden Garagen-Bands. Irgendwann sortieren sie die Nichtskönner aus und machen gemeinsame Sache. Bald darauf kommt auch Rob Tyner dazu. Er ist ein belesener Beatnik mit Mikrofonfrisur und dicker Pauke. Er sieht nicht gerade aus wie der typische Frontman, hat aber Soul in der Stimme und, angetrieben von den beiden vollaufgedrehten Gitarren, entwickelt er eine beachtliche Agilität auf der Bühne.
Von Tyner stammt auch der Name, ein Akronym für Motor City Five. »Rob fand, das würde sich anhören wie eine Seriennummer, es passte also hervorragend zum Leben zwischen Autofabriken. Immerhin kamen wir aus Detroit, und MC5 hörten sich an, als wären sie auf dem Fließband entstanden«, erzählt Wayne Kramer in Legs McNeils und Gillian McCains Oral History des Punk, »Please Kill Me«.
Heldenstatus erlangen sie, als sie im August 1968 bei den Anti-Vietnam-Protesten während des Nominierungsparteitags der Demokraten in Chicago auftreten. Die Nachrichtensendungen zeigen Abend für Abend die verstörenden Aufnahmen von Polizisten, Soldaten und Nationalgardisten, die sich blutige Straßenschlachten mit den Demonstranten liefern. Erst fünf Tage zuvor sind sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei einmarschiert, um Prag zu besetzen. Eine Koinzidenz, die man weidlich ausschlachtet. Die linke Szene feiert »Die Schlacht von Tschechago« als bestandene Bewährungsprobe für die sowieso demnächst ausbrechende Revolte. MC5 sind mittendrin und gehen anders als Country Joe & The Fish oder Neil Young tatsächlich auf die Bühne.
Nach Chicago sind MC5 der heißeste Scheiß. Als begnadete Live-Band fällt man den Entschluss, einen Konzertmitschnitt als Debüt zu veröffentlichen. Zwei verschwitzte, materialzermürbende, ziemlich ungesunde Nächte Ende Oktober im Detroiter Grande Ballroom reichen, und »Kick Out The Jams« ist im Kasten – eines der Gründungsdokumente jenes Krachs, den man bald darauf als Heavy Metal oder wahlweise auch Punk abstempeln wird.
Wayne Kramers Leadgitarren-Kakaphonien kann man mit viel Fantasie als Free-Jazz-Anverwandlungen durchgehen lassen, und damit wirklich keine Zweifel aufkommen, vertonen sie eine Sun-Ra-Sternenpredigt mit großer Lust an psychedelischen Geräuscheffekten. Das ist alles gerade prätentiös genug, damit die Intelligenzia nicht den Eindruck haben muss, sich unter ihrem Niveau zu amüsieren. Und die Plebejer sich nicht über Gebühr langweilen.
Die Musikpresse reagiert mit jenem Unverständnis, das immer herrscht, wenn etwas so anders ist, dass einem noch die Bewertungskriterien fehlen. Die Fans wissen es besser. Das Album erreicht schließlich Platz 30 in den Billboard-Charts und kann sich mit über 100 000 verkauften Exemplaren immerhin 23 Wochen dort halten. Das ist weit mehr als ein Achtungserfolg für eine musikalische Herausforderung dieser Art.
Unterdessen gründet MC5-Mentor John Sinclair die White Panther Party – und in der Folge radikalisiert sich ihr Umfeld. Zusammen mit der lokalen Fraktion der Black Panthers machen sie im nahe gelegenen Waldstück Schießübungen, um sich auf kommende Auseinandersetzung mit den »Pigs« vorzubereiten. Schließlich sprengt ihr »Verteidigungsminister« das Rekrutierungsbüro der CIA an der Universität von Michigan in die Luft. Der lose Haufen neugieriger, mit Rauschdrogen experimentierender Blumenkinder mutiert zu einer militanten Stadtguerilla.
MC5 machen da nicht mit, lösen sich von Sinclair und vollziehen einen Imagewechsel. Sie dimmen ihre aufrührerischen Kommentare auf ein moderates Maß und klingen auf »Back In The USA« fast wie eine andere Band. Aber dadurch verlieren sie auch ihre Basis, wie die Verkaufszahlen allzu deutlich belegen. Den Linken ist das Album nicht revolutionär genug, den zeitgenössischen Hörern zu wenig progressiv. »Back In The USA« ist seiner Zeit ein paar Jahre voraus. Erst in der zweiten Hälfte der 70er wird diese Hinwendung zum ursprünglichen, primitiven Rock ’n’ Roll für die Punk-Generation interessant, da haben sich MC5 längst aufgelöst, weil ihr dritter Versuch »High Time« noch spektakulärer gescheitert ist. Wayne Kramer und Bassist Michael Davis verdienen ihr Geld mittlerweile als Drogenhändler und landen für Jahre im Knast. Die Mythenbildung kann beginnen.
Die Musiker profitieren davon. Sie fangen sich schließlich alle wieder und machen in verschiedenen Konstellationen weiter Musik. Hin und wieder sogar recht erfolgreich – wie die Solokarriere Wayne Kramers belegt. Kramer schwingt sich dann auch zum MC5-Nachlassverwalter auf und koordiniert die diversen Wiederbelebungsversuche seit Anfang des Jahrtausends. Die Reunion der überlebenden Urmitglieder Kramer, Davis und Schlagzeuger Thompson bringt es immerhin auf 200 Konzerte. Ein Album soll folgen, aber sie kriegen im Studio nicht mehr viel zustande. Das vierte Album, dieses uneingelöste Versprechen, nagt offenbar an Kramer, und so entwickelt er vor einigen Jahren zusammen mit Produzent Bob Ezrin als Strippenzieher und musikalischem Direktor die »We are all MC5«-Idee. Freunde der Band und Kinder im Geiste sollen MC5 zu einem letzten Triumph verhelfen. Dafür klemmt sich sogar Thompson noch einmal für zwei Songs hinter sein Drumset. Tragischerweise durchkreuzt die Covid-Pandemie ihre Pläne, die Veröffentlichung verzögert sich und so sind in der Zwischenzeit die letzten verbliebenen Bandmitglieder Kramer und Thompson und dann auch noch ihr ehemaliger Zampano John Sinclair verstorben.
»Heavy Lifting« kommt also zu spät. Es ist auch kein vollgültiges MC5-Album, sondern ein Kramer-Solowerk, das mit der Unterstützung bekannter Namen wie Tom Morello, Vernon Reid, Slash oder William DuVall von Alice in Chains unter anderem die Erinnerung wachhält an die Detroiter Garagenrock-Legende.
Gemeinsam haben sie hier ein brutzelndes Heavy-Funk-Crossover ins Werk gesetzt, das mit »Barbarians At The Gate«, »The Edge Of The Switchblade« oder dem ruppigen Titelsong ein paar vollmundige Garagen-Riffer auf die Waage bringt, aber eben auch tiefschwarzen Soulfunk und nette, kleine Powerpop-Preziosen. Ein würdiger Abschied.
MC5: Heavy Lifting (earMUSIC/Edel)
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