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Existenzielle Entspanntheit
Über Menschen, die ein Jahr das bedingungslose Grundeinkommen erhielten.
Heute ist wieder einer dieser Tage, an dem sie zehn Menschen glücklich machen werden. Sie tun das jeden Monat, zehn Menschen die Existenzangst oder zumindest die Bauchschmerzen nehmen, ihnen den letzten Anstoß geben, etwas Neues zu wagen. Meera Zaremba sitzt neben einem kleinen goldenen Käfig, darin blaue Tischtennisbälle mit den Nummern eins bis zehn. Zaremba dreht an einer Kurbel, die Bälle Rollen als Mini-Lawine vorwärts. Einer bleibt in einer Schale liegen: acht. So geht das noch drei Mal und am Ende ist Rudi um 12 000 Euro reicher, ein Jahr lang bekommt er 1000 Euro monatlich, einfach so. Sein Foto wird auf einem Bildschirm eingeblendet. Zaremba liest vor, was Rudi mit dem Geld anstellen will: »Die gewonnene Freizeit für Bildung investieren.« Das Publikum applaudiert für Rudis Pläne. Das klingt doch sinnvoll.
Es ist einer der vielen warmen Montagabende im Juli 2018 in Berlin-Neukölln, der Verein Mein Grundeinkommen, für den Zaremba arbeitet, verlost heute in einem Urban-Gardening-Projekt auf dem Gelände der ehemaligen Kindlbrauerei das 181. bis 190. bedingungslose Grundeinkommen (BGE) an zehn Menschen, die sich vorher im Internet für die Lotterie angemeldet haben. Die Auslosung wird live im Internet übertragen, Gäste und ehemalige Gewinner sind gekommen, es gibt Taboulé, gegrillte Aubergine, Köfte und Bier. Sich für die Auslosung zu registrieren, kostet kaum Aufwand. Man wählt einen Nutzernamen, gibt eine Mailadresse an, schaltet sich für die Auslosung frei, fertig. Manche geben auch noch an, was sie mit dem Geld machen wollen, meistens völlig bodenständige Dinge. Den Kindern einen schönen Urlaub finanzieren, endlich mal das Auto reparieren lassen, aber auch das große Ganze: bewusster Einkaufen, soziale Projekte unterstützten. Die letzten beiden Wünsche haben die meisten Likes bekommen. Das Geld, das verlost wird, kommt ausschließlich über Spenden zusammen. Inzwischen ist es so viel, dass der Verein jeden Monat zehn BGE verlosen kann. Etwa 66 000 Menschen geben regelmäßig Geld, im Schnitt jeder vier Euro.
Judith Menzl ist nicht der Typ für große Wünsche. Sie wusste, was sie wollte und das hätte sie mit oder ohne BGE durchgezogen. Dann hat sie doch gewonnen, Gewinnerin Nummer 24 im Dezember 2015. Menzl sitzt in blauer Turnhose und The-Shins-Shirt vor ihrem Eisladen in der Rostocker Kröpeliner-Tor-Vorstadt, es ist elf Uhr morgens, das Geschäft läuft langsam an. Eine Kundin studiert intensiv die ausgehängten Inhaltsstoffe des Eises und will jetzt wissen, was es mit dem Phosphat im Schokoeis auf sich hat. Ein E-Stoff, sicherlich böse. »Das wird als Säureregulator verwendet«, sagt Menzl. Nicht die richtige Antwort. »Das ist schon mal großer Mist«, kommt es zurück. Also nimmt die Frau doch lieber Pfirsich, da ist kein Mist ausgewiesen. Jetzt will sie es aber wirklich wissen und fragt nach den Löffeln. »Ist das Plastik? Wir haben gar kein Plastik mehr zu Hause.« »Die sind aus Maisstärke hergestellt«, erwidert Menzl. Richtige Antwort, es kommt kein Widerspruch. Ihr Laden Veis ist der erste vegane Eisladen in Rostock, eine Einladung offenbar, es ganz genau zu nehmen. Menzl kennt die Diskussionen um Inhaltsstoffe und Zucker, die »irres Chaos im Körper« anrichten können, und sie mag es, mit den Kunden über Lupinenmilch, einen pflanzlichen Milchersatz, zu diskutieren und auch darüber, dass Zucker ins Eis gehört, sonst könnte sie auch Pfefferminztee einfrieren und verkaufen. »Lebensmittelherstellung ist was, womit ich mich auskenne, da diskutiere ich gerne.«
Menzl hat Agrarökonomie studiert, mehrere Jahre im Landhandel im Außendienst gearbeitet, bevor sie kündigte, ohne zu wissen, was danach kommen wird. Ein eigener Eisladen, die Geschäftsidee hatte sie schon in ihrer Diplomarbeit behandelt, also warum nicht? Sie stellte Banken ihren Businessplan vor, eine sagte ja. Mein Grundeinkommen tauchte irgendwann in ihrer Timeline bei Facebook auf, sie bewarb sich, da stand schon fest, dass sie die Eisdiele aufmachen würde. Mit oder ohne die 1000 Euro monatlich für ein Jahr, bei denen niemand vom Verein Mein Grundeinkommen wissen will, was man damit anstellt. »Meine Geschichte finden die meisten langweilig, weil die Story andersrum viel schöner wäre: Sie hat wegen des BGE ihren langweiligen Job gekündigt und betreibt jetzt eine vegane Eisdiele, aber das Geld unterstützt die Menschen eben auf unterschiedlichste Arten.«
Menzl eröffnete Veis im März 2015, das erste Mal Geld von Mein Grundeinkommen war im Januar 2016 auf ihrem Konto. »In meinem ersten Winter mit dem Laden kamen die 1000 Euro genau richtig.« Das Geschäft lief zwar ganz gut an, aber im Winter flauten die Einnahmen ab, den schwächsten Monat November hatte sie überstanden. »Ich war in einer Situation, in der ich hoffte, dass es endlich wieder wärmer wird, und genau dann kam das BGE«, sagt Menzl. Seitdem weiß sie, wie sich existenzielle Entspannung anfühlt. Wie viele Gewinner, fragte sie sich am Anfang noch, ob sie das Geld fremder Leute überhaupt verdient hätte. Sie hatte einen Kredit in der Tasche, der Laden lief gerade an, kleinere Engpässe waren einkalkuliert. »Ich verabschiedete mich schnell von dem Gedanken, es nicht verdient zu haben, denn darum geht es beim BGE nicht.« Ein Jahr lang zahlte sie sich kein Gehalt aus, bezahlte von den 1000 Euro ihre private Miete und Krankenkasse und konnte so für Veis Geld zur Seite legen. »Wenn ich es dauerhaft bekommen würde, würde ich sicherlich weniger arbeiten und noch eine Aushilfe anstellen.«
Corinna steht in Berlin-Neukölln etwas abseits neben einem Pflanzenkübel, beobachtet die Verlosung und lächelt bei jedem Tischtennisball, der neu gezogen wird. Vor einem Jahr war sie die Nummer 86 unter den Gewinnern, seit einem Monat bekommt sie das BGE nicht mehr. Für Corinna hat sich im Gegensatz zu Judith Menzl durch das zusätzliche Geld einiges geändert, aber gemeinsam haben sie diese Grundentspanntheit, von der auch alle anderen erzählen, die man nach ihrem Jahr mit dem BGE fragt. Corinna macht immer noch das, was sie vor dem Gewinn getan hat, aber sie hat sich eine Weiterbildung geleistet, die vorher nicht drin war. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin in Berlin, ein anstrengender Job mit viel Stress, weil es zu wenig Kollegen gibt. Neben der Arbeit hat sie eine Zusatzausbildung zur Familientherapeutin gemacht, die viel Geld gekostet hat. Zu Hause haben sie lange diskutiert, was sie mit den 1000 Euro monatlich machen wollen. Urlaub mit den zwei Kindern, ein neuer Kleiderschrank wären dringend gewesen. »Aber will ich damit meinen bisher aufgeschobenen Konsum finanzieren oder doch etwas Verantwortungsvolles machen, immerhin ist es das Geld fremder Leute.« Corinna hat lange überlegt und sich dann dafür entschieden, dass Geld für sich und ihre Zukunft auszugeben. Die Mietkaution der Schwester zu übernehmen, das war trotzdem drin, obwohl gerade die das BGE nicht überzeugt. »Sie ist da eher von meinen Eltern beeinflusst, die noch aus der Generation kommen, in der man der Meinung ist: Arbeit bedeutet Leiden und das muss man bis zur Rente durchhalten.«
Eine Woche nach der großen Verlosungsfeier sitzt Meera Zaremba im Büro des Vereins in Neukölln und bereitet die nächste Lotterie vor. 25 Menschen sind bei Mein Grundeinkommen fest angestellt, ihre Arbeit reicht von Gewinnerbetreuung bis zur Webseitengestaltung. Seit 2014 gibt es das Projekt, letztes Jahr haben sie die Anzahl an Spendern im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppeln können, eine Million Menschen sind auf der Plattform angemeldet, mehr als 200 000 nehmen regelmäßig an den Verlosungen teil. Über das Projekt gibt es zig Artikel im Netz, regelmäßig beraten sie Politiker zum Thema Grundeinkommen. Mittlerweile taucht das BGE bei Umfragen unter den 15 relevantesten Themen auf, der sich die Politik widmen sollte, zwar neben Grenzkontrollen und innerer Sicherheit eher abgeschlagen, aber die Idee ist relevant geworden. Über 60 Prozent finden eine Einführung sinnvoll. Drei von vier würden bei einem Betrag um die 1000 Euro weiter arbeiten gehen.
»Unser Gesellschaftsbild fußt auf dem Prinzip, 40 Jahre im gleichen Betrieb zu arbeiten und einem mindestens so veralteten Steuer- und Sozialsystem, das unseren Lebensrealitäten nicht mehr gerecht wird - sei es unserer Familienmodell, der Bildungsweg oder unser Arbeitsleben«, sagt Zaremba. Bestraft wird, wer seinen Job von sich aus kündigt, wer sein Studium abbricht oder zu lange braucht. Viele, so zeigt es zumindest das deutsche Projekt, holen mit dem finanziellen Puffer Ausbildungen oder Weiterbildungen nach, die sie ohne diese Sicherheit nicht gewagt hätten oder sich schlicht nicht leisten konnten. »Die Symbolbilder, die zu Artikeln zum BGE oft rausgesucht wurden, waren Hängematten oder irgendwas mit Palmen. Das hat sich geändert«, sagt Zaremba. Das BGE, das es in verschiedenen Konzepten gibt, wird allerdings heftig diskutiert. Prominentester Kritiker von links ist Christoph Butterwegge, der das Konzept nicht für egalitär, sondern für elitär hält. »Ausgerechnet die einflussreichsten BGE-Modelle laufen auf eine Zerschlagung des bestehenden Sozial(versicherungs)staates hinaus, der zumindest seinem Anspruch nach Bedarfsgerechtigkeit schafft«, schrieb er in einem Gastbeitrag für das »nd«. »Das BGE allein wird Themen wie Armut, Mietenexplosion und Pflegenotstand nicht lösen«, sagt Zaremba. Aber es verlangsamt unser Hamsterrad oder hält es kurz an, honoriert unbezahlte Arbeit, sichert ein Existenzminimum. »Das BGE soll den Sozialstaat nicht ersetzen, sondern verbessern. Mit diesem Anspruch sollten wir ein umfassendes Modell entwerfen«, sagt Zaremba.
Auch Menzl kennt die Kritik am BGE. »In jedem Konzept, egal, welches man nimmt, sind viel zu viele unsichere Variablen, niemand kann sicher sagen, wie es letztendlich laufen wird.« Das klingt nach einem Grund, es bei den klein angelegten sozialen Experimenten, die es in Finnland, Kenia und Kanada gab, zu belassen. »Quatsch, man muss es einfach probieren«, sagt Menzl.
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