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- Bundesweite Waffenamnestie
Fehlende Flinten
Die zu Ende gegangene Waffenamnestie hat nur begrenzten Erfolg
Von Zeit zu Zeit tut Ausmisten not. Und gut. Bei so einer Aktion merkt man, wie viele Dinge »sich ansammeln« - gerade so, als sei es zumeist nicht freier Wille, sie zu behalten. Umso größer der Stolz, wenn man als überflüssig Erkanntes - möglichst nach Arten getrennt - den jeweiligen Abfallbehältern und damit diversen Verwertern übereignet hat. Doch nicht jedes Problem lässt sich so einfach entsorgen. Vor allem dann nicht, wenn der Hintergrund Illegales vermuten lässt. Was beispielsweise macht man mit Ur-Opas »Russland-Pistole«? Oder wie wird man das »Gartenflintchen« samt Patronen los, wenn die Erkenntnis gereift ist, dass man nicht einfach Amseln aus dem Kirschbaum schießen kann? Manch Nachbar wundert sich auch, wieso auf dem Dachboden Messer herumliegen, deren Klingen in Richtung Säbel mutieren.
Wer solche Probleme hat und irgendwo in der Gegend von Hann. Münden - das ist im Ländereck Niedersachsen, Hessen, Thüringen, dort, wo Werra und Fulda zur Weser zusammenfließen - wohnt, hatte noch bis vor Kurzem die Chance, sein Problem einfach auf den Schreibtisch von Herrn Golde zu legen. Der sitzt im Rathaus und ist seit 20 Jahren zuständig für alles, was mit Waffenrecht zu tun hat. Einmal so entschlossen, konnte man sicher sein, dass der freundliche Beamte niemanden bei der Polizei anschwärzt, die dann höchst unfreundlich nach dem Woher der Waffen fragt.
Dass weder der Überbringer der Waffe noch Herr Golde sich damit strafbar machten, ermöglichte eine Amnestie, die der Bundestag bereits im Mai 2017 beschlossen hatte. Sie sah eine auf ein Jahr befristete »Strafverzichtsregelung für den unerlaubten Besitz von Waffen und Munition« vor, um die Anzahl »illegal zirkulierender Waffen zu verringern«. Zuletzt gab es so eine bundesweite Aktion im Jahr 2009 nach dem Amoklauf in Winnenden. Der 17-jährige Sohn eines Sportschützen hatte 15 andere Menschen und dann sich selbst getötet. Elf Verletzte mussten in Krankenhäusern behandelt werden.
Der Sinn solcher Amnestien ist umstritten. Schließlich ist es ein Leichtes, sich Waffen zu beschaffen. Dabei muss man sich gar nicht in üblen Spelunken nach Händlern umsehen oder sich Zugang zum Darknet, der Schattenseite es Internets, verschaffen. Ein seit Jahren gängiger Weg ist der Kauf von sogenannten Dekowaffen. Gedacht, um sich solche Dinger mutmaßlich potenzsteigernd an die Wand zu hängen, sind die angeblich funktionsuntüchtigen Waffen mit wenigen Handgriffen wieder funktionstüchtig zu machen. Wie viele illegale Waffen bundesweit in Umlauf sind, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Fachleute nennen die Zahl 20 Millionen. Doch Dank noch weitgehend offener Grenzen innerhalb der EU ist illegaler Waffenbesitz ohnehin kein nationales Problem.
Und wie viele Menschen besitzen legal Waffen? Im nationalen Waffenregister, das es seit fünf Jahren gibt, sind 5,83 Millionen solcher Waffen, die aufgrund von 2,31 Millionen waffenrechtlichen Erlaubnissen besessen werden, verzeichnet. Noch also sind wir weit entfernt von US-amerikanischen Verhältnissen, wo schätzungsweise 300 Millionen scharfe Waffen in Privatbesitz sind. Und dennoch: Jede Waffe kann töten. Und diese »Weisheit« bezieht sich nicht nur auf Schusswaffen.
Die Frist für die neuerliche bundesweite Amnestie lief Anfang Juli ab. Die Bilanz, die der Landkreis Münden ziehen konnte, ist erstaunlich. Bei den fünf Waffenbehörden im Landkreis wurden 322 Waffen abgegeben. 75 davon waren wirklich in illegalem Besitz, was durchaus mit fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Allein in der Stadt Hann. Münden, die knapp 24 000 Einwohner zählt, wurden 107 Waffen, davon 29 »illegale« abgegeben. In Osterode am Harz, da leben rund 21 000 Einwohner, zählte man 64 Waffen. In Duderstadt waren Bürger weniger freigiebig, sie trennten sich nur von zwölf Waffen. Die Amnestie-Ausbeute der Stadt Göttingen sei kaum der Rede wert, meint Golde, der die Motive für die Rückgabe höchst differenziert sieht. Manche Waffen von Sportschützen seien ganz einfach verschlissen, der Zustand anderer machte ihren Verkauf unmöglich. An der legalen Bewaffnungssituation im Kreis habe die Amnestie kaum etwas geändert. Rund 400 Personen dürfen behördlich genehmigt rund 2000 Waffen besitzen.
Inzwischen liegt auch die Bilanz für ganz Niedersachsen vor. Im Amnestiezeitraum wurden insgesamt 9602 Schusswaffen abgegeben. 1908 Schusswaffen, »also immerhin 20 Prozent« waren in illegalem Besitz, betont das Innenministerium auf »nd«-Anfrage. Landespolizeidirektor Knut Lindenau verweist zudem auf »898 sonstige Waffen«, beispielsweise Hieb- und Stichwaffen sowie »rund 210 000 Stück Munition und etwa 1100 Kilogramm ungezählte Munition verschiedenen Kalibers«. All das werde nun »ordnungsgemäß vernichtet und kann nicht in falsche Hände geraten«. Zum Vergleich: 2009 waren in Niedersachsen rund 26 600 Waffen, darunter 3351 »illegale« abgegeben worden.
Über solche Zahlen kann man im benachbarten Land Thüringen nur staunen. Dort waren nach Auskunft der zuständigen Landespolizeidirektion zwischen dem 1. Juli 2017 und dem 1. Juli 2018 gerade einmal 14 Langwaffen oder Waffenteile sowie 18 Kurzwaffen also »Pistolen, erlaubnispflichtige Signalwaffen, Schreckschusswaffen und umgebaute Schreckschusswaffen« abgegeben worden. Hinzu kommen 27 Abgaben von Munition.
Im Freistaat leben derzeit rund 2,2 Millionen Einwohner, in der Hansestadt Hamburg sind es 1,76 Millionen. Dort registrierte man im Amnestiezeitraum allerdings 534 freiwillig abgegebene, erlaubnispflichtige Waffen. In Mecklenburg-Vorpommern brachte man insgesamt 309 erlaubnispflichtige Lang- und Kurzwaffen sowie 8694 Schuss Munition zu Polizei und den Waffenbehörden. Davon waren 30 Waffen und 2997 Schuss Munition im illegalen Besitz. Die Bürger trennten sich ebenso von 32 Hieb- und Stichwaffen. Zum Vergleich: Bei der 2009er Amnestie waren laut Schweriner Innenministerium nur 72 erlaubnispflichtige Schusswaffen abgegeben worden.
Brandenburg hat bereits vor drei Wochen eine Bilanz vorgelegt. Bis zum Ablauf der Frist Anfang Juli sind 113 Langwaffen wie Gewehre, 251 Kurzwaffen, also Pistolen und Revolver, und 21 Hieb- und Stichwaffen abgegeben worden. Die große Mehrzahl der Waffen und Munition befand sich in legalem Besitz. Abgegeben wurden allerdings auch 44 illegale Waffen sowie rund 1900 illegal besessene Geschosse und Munition.
Hessen kann erst Mitte des Monats eine Bilanz liefern, auch Sachsen-Anhalt bittet auf Nachfrage um Geduld bis zum Monatsende. Berlin sieht sich erst im September zu entsprechenden Aussagen bereit, und dass man dann statistisch verwertbares Material erheben kann, bezweifelt die Polizeisprecherin. Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zählen auch noch, lieferten aber immerhin Bilanzen bis zum 31. Dezember 2017. Danach wurden im Freistaat 3500 Lang- und Kurzwaffen sowie rund 53 000 Stück Munition abgegeben. Das Stuttgarter Innenministerium addierte bis Ende 2017 exakt 2941 abgegebene Waffen. 845 von ihnen identifizierten die Experten als »illegal«. In Düsseldorf sammelten Waffenbehörden und Polizeidienststellen bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres 5084 Kurz- und Langwaffen ein.
Obgleich die Amnestie vom Bundestag beschlossen wurde, sieht sich das Bundesinnenministerium nicht in einer Abrechnungspflicht, denn: »Der Vollzug des Waffengesetzes ist nach Artikel 83 des Grundgesetzes eigene Angelegenheit der Länder.« Dennoch wagt man auf »nd«-Anfrage eine Prognose: Eine informelle Abfrage bei den Ländern ein halbes Jahr nach Inkrafttreten »deutet darauf hin, dass im Rahmen der aktuellen ›Amnestieregelung‹ deutlich weniger Waffen abgegeben wurden als im Jahr 2009«.
Wie es scheint, ist der Landkreis Hann. Münden keineswegs als Maßstab zu werten. Aber dort, wo der einst weithin berühmte Dr. Eisenbart praktizierte, hat man seit ehedem ein spezielles Verhältnis zu Waffen. Im Spottlied über den Doktor wird ein Patient erwähnt, der mit einem schmerzenden Zahn zum Heiler kam: »Ich schoss ihn aus mit der Pistol …, oh je, wie ist dem Mann so wohl.«
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