Neue Hoffnung für Siemensstadt

Der Technologiekonzern verhandelt mit dem Berliner Senat über ein Technologiezentrum an der Nonnendammallee

Die Idee eines Zukunftscampus von Siemens könnte geradezu von den Betriebsräten kommen. Als der Konzern im vergangenen November bekanntgab, in der Energiesparte weltweit 6900 Arbeitsplätze abzubauen und auch das Berliner Gastturbinenwerk und das Dynamowerk davon nicht verschont blieben, entwickelten die Arbeitnehmervertretungen beider Werke ein Konzept für die Zukunft des Berliner Standorts. Es ging darum, die Werke weiterzuentwickeln, Innovationen hervorzubringen und sich vielleicht auch ein Stück weit neu zu erfinden. Das Know-how dafür sei vorhanden, davon ist man überzeugt. Nur müsse es besser genutzt werden. Mit einer Werbung für den Wissenschaftsstandort Berlin gingen die Betriebsräte in die Gespräche über den drohenden Arbeitsplatzabbau nach München in die Konzernzentrale.

Jetzt wurde ein Vorschlag aus dem Konzernvorstand über ein Innovationszentrum bekannt, das womöglich in der traditionsreichen Berliner Siemensstadt entstehen könnte. Im Gespräch ist ein Investitionsvolumen zwischen 500 und 600 Millionen Euro. Bildungs- und Forschungseinrichtungen sind auf einem 940 000 Quadratmeter umfassenden Areal angedacht. Hightech-Produktionsanlagen könnten im Schaltwerk und dem Dynamowerk entstehen. Es soll zudem auch für Start-ups die Möglichkeit geben, sich dort niederzulassen und in die Prozesse eingebunden zu werden. Die vorhandene Industriearchitektur soll genutzt werden, Büros und Wohnungen müssten zusätzlich gebaut werden.

Im dauernden Wandel
Siemens-Boss Joe Kaeser hat wieder einmal ein neues Konzept für den Münchner Konzern vorgelegt

Ein Konzernsprecher bestätigte die Erwägungen für einen solchen Campus gegenüber dem »nd«, wenngleich nicht beabsichtigt war, sie zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich zu machen. Das Thema sei geleakt worden. Ob Berlin letztlich den Zuschlag für das Technologiezentrum erhält, ließ der Sprecher offen. Siemens tendiere derzeit eher zu einer internationalen Ausschreibung. Das hieße: Jede andere Stadt könnte sich mit einem eigenen Konzept für ein solches Zentrum bewerben.

Doch erste Adresse für ein solches Zukunftszentrum bleibt erst einmal Berlin. Am Mittwoch finden Gespräche zwischen dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Siemens Vorstandsmitgliedern statt. Mit dabei ist Cedrik Neike, selbst Berliner und für das Energiemanagement in Asien zuständig, sowie Frank Büchner, der Chef der deutschen Energiesparte. Siemens erwartet vom Land Berlin Zugeständnisse, wie erweiterte Baurechte auf dem Gelände in Siemensstadt, die Ausstattung mit Breitband-Internet, eine gute Anbindung zum Hauptstadtflughafen in Schönefeld sowie eine konstruktive Handhabung des Denkmalschutzes.

»Seit längerer Zeit finden schon Gespräche auf der Arbeitsebene statt«, bestätigte Kathi Seefeld, stellvertretende Senatssprecherin dem »nd«. Natürlich weckt es Hoffnungen, wenn Siemens ein solches Angebot für Berlin bereithält. Sollte der Campus an der Nonnendammallee tatsächlich gebaut werden, wäre das eine der größten Investitionen aus der freien Wirtschaft der vergangenen Jahrzehnte. Doch die Zurückhaltung ist spürbar, mit der das Land dem Gespräch am Mittwoch entgegensieht.

Zuletzt war das Verhältnis zwischen dem Senat und Siemens nicht das beste. Müller und die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) setzten sich etwa für den Erhalt der bedrohten Arbeitsplätze im Dynamo- und Gasturbinenwerk ein, und erst vor wenigen Wochen erteilte Kultursenator Klaus Lederer (LINKE) dem Konzern für den Bau einer Hauptstadtrepräsentanz im Magnus-Haus, schräg gegenüber des Pergamonmuseums, eine Absage. In das denkmalgeschützte Ensemble in Mitte, das Siemens 2001 gekauft hat, wollte der Konzern einen 18 Meter hohen Turm einbinden. Siemens reagierte auf das Platzen dieser Idee verärgert. Manche behaupteten daraufhin, Berlin habe den Konzern vergrault.

Klaus Abel, Chef der Berliner IG Metall, hält das Verhältnis zwischen dem Senat und Siemens aber nicht für so getrübt, dass die Gespräche über den Technologiecampus ernsthaft gestört seien. Letztlich gehe es darum, Berlins Stärken als Wissensstandort zu nutzen und interdisziplinär zu denken, erklärte Abel dem »nd« - indem »die klassischen Ingenieurswissenschaften mit der Digitalisierung und der Produktion verknüpft werden«.

Unabhängig von den Gesprächen über den Zukunftscampus laufen auch die Verhandlungen über den Stellenabbau im Dynamo- und Gasturbinenwerk weiter. Abel ist optimistisch, dass ein Kahlschlag noch verhindert werden kann. 870 Arbeitsplätze, von denen anfangs in Berlin die Rede war, werden wohl nicht abgebaut werden. »Eine Produktionsschließung konnte verhindert werden, und auch betriebsbedingte Kündigungen sind vom Tisch«, so der IG Metall-Chef. Aber wenn die Gespräche am 30. September abgeschlossen sein werden, wie es beide Seiten anpeilen, wird es dennoch Einschnitte geben. Siemens begründet diese mit einer dauerhaft sinkenden Nachfrage der Energiesparte.

Um den Konzernumbau abzufedern, plant Siemens neben jährlich rund 500 Millionen Euro für die Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten zusätzlich einen Zukunftsfonds. Abel begrüßt die Pläne. Die Werke müssten sich wandeln, sagte er. »Sie müssen neben Arbeitsorten auch Lernorte werden.«

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