• Sport
  • Florian Wellbrock

In die Weltspitze geschwommen

Florian Wellbrock gilt nach seinem EM-Sieg über 1500 Meter plötzlich als olympischer Medaillenkandidat

  • Andreas Morbach, Glasgow
  • Lesedauer: 3 Min.

So eine 50-Meter-Bahn 30 Mal rauf und wieder runter zu kraulen, das ist eine Menge - da kann man beim Mitzählen schon mal durcheinander geraten. Selbst als Spitzenkraft der Branche, zu der sich Florian Wellbrock spätestens mit seinem EM-Sieg über 1500 Meter aufgeschwungen hat. Nur drei Menschen auf der Welt sind die Strecke jemals schneller geschwommen als der gebürtige Bremer am Sonntagnachmittag im Glasgower Stadtteil Tollcross. Dabei hatte sich der schmal gebaute 20-Jährige laut Bernd Berkhahn gar nicht an den Rennplan gehalten.

Wellbrocks Heimtrainer erklärte, sein Eleve habe die angepeilte Attacke gegen Michailo Romantschuk und Gregorio Paltrinieri 200 Meter zu früh begonnen. Der Schwimmer selbst beteuerte, wie vereinbart erst bei 1000 Meter das Tempo erhöht zu haben. »Da hat er sich wieder verzählt«, schmunzelte Berkhahn wohlwollend. Wohl wissend, dass solche Details in zwei Jahren bei der Medaillenvergabe entscheidend sein könnten.

Schon jetzt liegt der Fokus auf Olympia 2020, Understatement ist seit dem Highlight in Schottland perdu. »Es geht ja erst los, jetzt beginnt eigentlich der Reigen für die Olympischen Spiele. Die Perspektive ist da«, frohlockte Berkhahn und schwärmte: »Das war wahrscheinlich eines der besten Rennen über 1500 Meter, die es je gab.«

Wo sonst meist ein Schwimmer einsam vorneweg krault, kam diesmal ein elektrisierender Dreikampf zur Aufführung. Und als der fiebrige Olympiasieger Paltrinieri zurückfiel, wurde es ein packendes Duell zwischen Wellbrock und dem Ukrainer Romantschuk. »Die drei werden künftig noch häufiger aufeinander treffen«, prophezeit Berkhahn weitere Gipfeltreffen dieses Trios. Hält sein schneller Schüler dabei das aktuelle Niveau und schafft es gemeinsam mit seinem Coach, das eine oder andere Rädchen in die richtige Richtung zu drehen, ist er definitiv ein Medaillenkandidat für Tokio.

Mit knapp 17 wechselte Wellbrock im Sommer 2014 aus Bremen ins Sportinternat nach Magdeburg, trainiert dort unter Berkhahn am Bundesstützpunkt. Seit einem Jahr ist er mit der Langstreckenkollegin Sarah Köhler liiert, die zur Heidelberger Trainingsgruppe gehört. Nach Wellbrocks Sieg über 1500 Meter wartete die 24-Jährige voller Ungeduld auf ihren Freund, fiel ihm dann leidenschaftlich um den Hals. Und drückte ihm, ehe er vor die Presse trat, noch einen dicken Kuss auf den Mund.

»Wir verbringen als Pärchen schon viel Zeit miteinander«, erzählte Wellbrock wenig später. Von dem unerwartet schwachen Finale seiner Partnerin über 800 Meter am Samstag ließ er sich aber nicht beeindrucken. »Es tat mir für sie weh, dass es nicht lief. Aber das Gute ist: Schwimmen ist ein Einzelsport, deshalb lass ich mich von so etwas auch nicht runterziehen«, betonte er. Ruhig, zielgerichtet, fast abgeklärt wirkt Wellbrock. Das Tattoo über seiner linken Brust, mit der ebenso klugen wie ernsten Botschaft »Genieß dein Leben ständig, du bist länger tot als lebendig«, untermalt diesen Eindruck noch.

Am Dienstagmorgen springt Wellbrock - auf den am Wochenende als Zuckerl noch ein gemeinsamer Auftritt mit Köhler im Teamwettbewerb der Freiwasserschwimmer wartet - zum Vorlauf über 800 Meter Freistil ins Wasser. »Bei der EM persönliche Bestzeit zu schwimmen - das zeigt, dass ich in den letzten Monaten alles richtig gemacht habe«, betont der Goldjunge von Glasgow mit frisch poliertem Selbstbewusstsein. Dabei äußert Heimcoach Berkhahn bereits deutlich den Wunsch, Wellbrock solle auch bei den Spielen in Tokio im Becken und im Freiwasser antreten.

Ein dezenter Hinweis an Henning Lambertz, der erst mal froh ist, in seinem sehr überschaubaren Kreis olympischer Medaillenkandidaten ein neues Mitglied begrüßen zu können. Vor einem Jahr nannte der Chefbundestrainer im Gespräch mit »nd« bei den sehr wenigen medaillentauglichen »Pflänzchen« als erste Philip Heintz, Marco Koch, Christian Diener und Damian Wierling. Und fügte hinzu: »Fakt ist, dass wir nach heutigem Stand keinen einzigen Schwimmer als klaren Medaillenkandidaten für Tokio bezeichnen dürfen.« Seit Florian Wellbrocks Paukenschlag vom Sonntag ist es Zeit für ein Update.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.