Werbung

Historische Abstimmung in Argentinien

Nach der Zustimmung der Abgeordneten zur Liberalisierung der Abtreibung sind nun die Senatoren gefragt

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Tagen kommt es in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires zu Demonstrationen von Befürwortern und Gegnern des Gesetzes, das das Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung garantieren soll. Dabei sind beide Seite unschwer an den Farben ihrer Halstücher zu erkennen: Grün ist das Symbol der Befürworter, Hellblau das Symbol der Gegner.

Während die grünen Tücher auf eine lange Tradition zurückgehen, tauchten die Hellblauen erst vor wenigen Monaten auf. Nach den Worten von Nina Brugo, Mitgründerin der »Kampagne für das Recht auf eine legale, sichere und kostenlose Abtreibung«, gab es die ersten grünen Halstücher bereits im Jahr 2003. Auf einem damaligen landesweiten Frauentreffen stellte sich die Kampagne vor. Da es damals aber nicht genügend Stoff in der Farbe Lila gegeben hätte, sei schließlich die Farbe Grün gewählt worden. Seither verteilte die Kampagne jährlich rund 8000 grüne Halstücher. 2018 waren es jedoch bereits über 200 000. Hatte sich zuvor nur eine Kooperative um die Herstellung gekümmert, so sind es mittlerweile neun.

Abtreibung weltweit: Einschränkungen in vielen Ländern

15 Jahre nach Gründung der Kampagne und mit dem Rückhalt von über 350 Gruppen und Organisationen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen hat der Gesetzesentwurf den Sprung in den Kongress geschafft, das Zweikammernparlament Argentiniens. Jetzt geht es darum, ob jede Frau künftig selbst über einen Abbruch während der ersten 14 Wochen der Schwangerschaft entscheiden kann. Nach dieser Frist soll eine Abtreibung im Fall einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben der Frau und bei schwerwiegenden Missbildungen beim Fötus erlaubt sein. Bereits Mitte Juni hatte das Abgeordnetenhaus mit knapper Mehrheit für den Gesetzesentwurf gestimmt. Jetzt muss der Senat entscheiden. Auch hier ist ein enges Ergebnis absehbar. Der Ausgang der Abstimmung ist offen.

Derweil freut sich Marco auf gute Geschäfte. Mit seinen Halstüchern in den Farben Grün und Hellblau steht der fliegende Händler vor dem Kongressgebäude. Dass er zwei äußerst unterschiedliche Zielgruppen im Visier hat, macht ihm nicht aus. »Ich bin Neutraler und beide Halstücher schützen auch gut gegen Winterwind«, lächelt der 36-Jährige.

In den vergangenen Wochen haben sich beide Seiten erneut in Stellung gebracht. Neue Argumente wurden nicht ausgetauscht, alles wurde schon mehrfach gesagt und wiederholt.

Der Tonfall hat sich wesentlich verschärft. Mit seinem Vergleich von Abtreibungen mit nationalsozialistischen Praktiken hatte der argentinische Papst Franziskus aus Rom das Signal zum Angriff gegeben. Nur wenig später forderte Víctor Fernández, der neue Erzbischof von La Plata, Präsident Mauricio Macri zum Eingreifen auf. Macri müsse notfalls mit seinem Präsidentenveto das Gesetz verhindern, »sollte er eine tiefe Überzeugung zu diesem Thema haben«, so Fernández.

Marco hofft auf einen kräftigen Umsatz. Am Mittwoch wird der große Vorplatz vor dem Kongressgebäude durch Absperrungen wieder zweigeteilt sein. Auf der einen Seite wird die Farbe Grün dominieren, auf der anderen Seite Hellblau. Marta Miley bückt sich nach einem grünen Halstuch. Ihre 19-jährige Enkelin habe die 69-Jährige überzeugt, habe ihr davon erzählt, dass es in Argentinien zwischen 300.000 und 500.000 heimliche Abtreibungen im Jahr gebe und dass seit 1983 über 3000 Frauen an den Folgen eines solchen Eingriffs gestorben seien. »Meine Generation hat vielleicht die meisten Schwierigkeiten, das alles zu akzeptieren«, so Miley. Den tief sitzenden Katechismus könne man nicht allein durch eine Abstimmung über Nacht überwinden. »Aber wir können damit den Jungen auch nicht den Weg versperren.«

Marco packt jetzt seine Ware zusammen. Fünf grüne und vier blaue Tücher, so die Bilanz des Nachmittags. Das habe nichts zu bedeuten. »Morgen kann es anders herum sein.« Was er nach der Abstimmung mit seinem Halstuchverkauf mache? »Keine Sorge, dann verkaufe ich orangefarbene.« Die seien das Symbol der kürzlich gestarteten Kampagne für eine komplette Trennung von Staat und katholischer Kirche.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.