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Mit der Volkskasse zur Unabhängigkeit
Der vor 160 Jahren geborene Motorenerfinder Rudolf Diesel entwickelte die soziale Utopie des »Solidarismus«
Als Rudolf Diesel 1858 als Sohn eines aus Bayern nach Paris ausgewanderten Lederhandwerkers zur Welt kommt, ist Karl Marx schon 40 Jahre alt. Der große Denker arbeitet an seiner ökonomischen Theorie, die später als »Das Kapital« erscheint. Reich wird er damit nicht, im Gegenteil. Ganz anders der Ingenieur Diesel, der mit seinen Motoren zu gewaltigem Vermögen gekommen war. Die so unterschiedlichen Charaktere hatten aber eines gemeinsam: Sie hinterfragten die bestehenden Verhältnisse ihrer Zeit und entwarfen eigene soziale Utopien.
»Solidarismus. Natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen«, lautete der Titel einer Schrift, die Diesel 1903 veröffentlichte. Darin legt der damals 45-Jährige das Konzept einer solidarischen Wirtschaft vor, bei der die ehemals abhängig Beschäftigten die Finanzierung, Produktion und Verteilung von Gütern selbst in die Hand nehmen sollten.
»Ihr seid in Deutschland 50 Millionen Menschen, die von Gehalt, Lohn, Salär abhängen«, heißt es in dem Buch. Der Autor rechnet vor, dass, wenn jeder Arbeiter den Betrag von nur einem Pfennig pro Woche in eine »Volkskasse« einzahlen würde, das zu einem Gesamtkapital aller Beschäftigten von einer halben Million Mark pro Woche führen würde. Und werde jeden Tag ein Pfennig beiseitegelegt, »so habt ihr pro Jahr 182 Millionen und in zehn Jahren schon zwei Milliarden Mark zu eurer wirtschaftlichen Erhöhung zur Verfügung«.
Dieses kollektive Sparverhalten ist das Fundament des »Solidarismus«, die »vollkommene Gleichsetzung des Einzelinteresses mit dem Gesamtinteresse«, »die freie Vereinbarung der Menschen zu gegenseitiger Gerechtigkeit durch Arbeit, Einigkeit und Liebe«. Oder wie der Autor blumig formuliert: »Der Solidarismus ist die Sonne, welche gleichmäßig über alle scheinend, durch ihre milde Wärme und ihr glänzendes Licht die Menschheit aus ihrem Winterschlaf zu wirtschaftlichen Erlösung erwecken wird.«
Die »Volkskasse« mit ihrem angesammelten Kapital dient als Kreditgeber und Bürge für die gemeinschaftlichen Betriebe der Kassenmitglieder, die »Bienenstöcke«. Diesel: »Ebenso wie für Schuhe errichtet ihr unter dem Schutz der Haftung der Gesamtheit - der Volkskasse - noch andere Bienenstöcke für Kleider, Wäsche, Möbel, Hausgerät usw.«, wodurch die wichtigsten Lebensbedürfnisse der Mitarbeiter gesichert sind. Neben der gemeinschaftlichen Finanzierung und Produktion setzte Diesel auch auf genossenschaftliche Ansätze.
Ergänzt werden die Genossenschaften durch Sozialeinrichtungen wie Speiseanstalten, durch Wohnungsbau, eigene Schulen und Krankenhäuser. Das alles erinnert an Betriebe in realsozialistischen Ländern, aber auch an reformerische Ansätze bei den Unternehmen Siemens oder Krupp, die um ihre Unternehmen als Lebensmittelpunkt weitere gemeinschaftliche und soziale Angebote platzierten.
Doch im Unterschied zum Sozialismus sei der Solidarismus »im Rahmen bestehender Gesetze, in friedlicher Entwicklung bei vollkommener individuellen Freiheit« zu erlangen, betonte Diesel. Denn anders als der Kapitalismus beruhe er nicht auf dem Spiel der Marktkräfte, sondern »auf dem natürlichen Spiel der solidarischen Kräfte«, meinte der Ingenieur in seiner Schrift.
Der Erfinder Diesel glaubte an seine sozialökonomische Konstruktion. Doch sein Buch stieß bei den Zeitgenossen auf wenig Resonanz. Realisiert wurden seine Ideen allenfalls in Ansätzen in den vielen Spar-, Konsum- oder Baugenossenschaften. Er selbst erlebte das nicht mehr. Diesel kam unter ungeklärten Umständen 1913 auf einer Schiffreise nach London ums Leben. epd/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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