Erntehelfer sterben bei Unfällen

Mangelhafte Kontrollen lassen eine neue Sklaverei auf Italiens Feldern entstehen

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Man nennt sie die »neuen Sklaven«. Es sind die Wanderarbeiter, die auf den Tomaten- oder Melonenfeldern in Süditalien für einen Hungerlohn und ohne Rechte die Ernte einfahren. In den vergangenen Tagen sind bei zwei Unfällen 16 von ihnen gestorben. Und wie in vorherigen Fällen heißt es auch jetzt von offizieller Seite: Das ist furchtbar und wir werden alles tun, um so etwas in Zukunft zu verhindern.

Die Arbeiter kommen meist aus Afrika, manchmal aber auch aus armen europäischen Ländern wie Polen, Bulgarien und Rumänien oder aus Italien selbst. Für wenige Euro pro Tag - mal mit und mal ohne Vertrag - arbeiten die Erntehelfer bis zu zwölf Stunden am Tag bei rund 40 Grad Celsius auf den Feldern, streng von »Vorarbeitern« kontrolliert, die ihnen sogar vorschreiben, wann und wie viel sie trinken dürfen. Sie leben meist in sogenannten Ghettos, eine Umschreibung für Barackenlager ohne hygienische Einrichtungen und mit nur einem Wasserhahn für rund 100 Arbeiter.

Wahrscheinlich waren auch die zwölf Afrikaner, die am Montagnachmittag bei Foggia in Apulien gestorben sind, auf dem Weg zurück in »ihr« Lager. Sie waren zusammen mit drei weiteren Personen in einem Kleintransporter eingepfercht, der eigentlich nur für acht Personen zugelassen ist. Manchmal sitzen sie auf einfachen Holzdielen, manchmal müssen sie sogar stehen. Der Transporter ist auf der viel befahrenen Küstenstraße plötzlich von der Fahrbahn abgekommen, mit einem Laster zusammengeprallt und hat sich mehrmals überschlagen. Die meisten der Toten hatten keine Dokumente bei sich und es wird schwer werden, sie zu identifizieren - denn Stillschweigen ist das oberste Gesetz in diesem neuen Sklavenhandel.

Ein fast identischer Unfall ereignete sich am vergangenen Samstag nur wenige Kilometer südlich. Dabei starben vier Landarbeiter, vier weitere wurden schwer verletzt. Einer der Überlebenden ist Bubacarr Djallo aus Sierra Leone. Er ist knapp 24 Jahre alt und dies war sein erster Arbeitstag auf den Feldern von Foggia. In einem Interview in der Tageszeitung »Repubblica« erklärt er, dass er für 23 Euro acht Stunden unter der sengenden Sonne gearbeitet hatte. Auch er musste für den Transport fünf Euro zahlen. Bei dem Unfall wurde er aus dem Transporter geschleudert. Als die Journalistin sagt, er habe Glück gehabt, weil er überlebt hat, unterbricht Bubacarr sie: »Ich und Glück? Nein, dieses Wort sollten Sie nicht benutzen. Ich bin kein Glückpilz - ich habe einfach überlebt.«

Das Problem des neuen Sklavenhandels wird seit Jahren in Italien diskutiert. Vor zwei Jahren wurde ein Gesetz verabschiedet, das das Phänomen des »Caporalato« eindämmen sollte. »Caporali« sind Personen, die die Landarbeiter in den Ghettos anheuern, sie vor Morgengrauen auf die Felder und abends wieder zurück bringen. Sie »vermieten« den Landarbeitern die Baracken und für den »Transport« verlangen sie fünf Euro pro Tag. Das Geld wird direkt vom Lohn abgezogen, den sie bei der Ernte verdienen und der selten über drei Euro pro Stunde liegt. Bei der Tomatenernte in Apulien erhalten die neuen Sklaven 4,50 Euro für jede Kiste, in die drei Zentner passen. Wenn sie »gut« arbeiten können sie pro Tag bis zu 15 dieser großen Kisten füllen. Aber das ist ein Spitzenlohn: häufig sind es auch nur 20 oder 30 Euro für einen Arbeitstag von bis zu zwölf Stunden. Die »Caporali«, so haben Kritiker ausgerechnet, die dieses Phänomen untersuchen, verdient hingegen bis zu 500 Euro pro Tag.

Foggia, wo sich der Unfall am Montag ereignete, ist die italienische Provinz mit den meisten Landarbeitern. Einen regulären Vertrag haben etwa 50 000 von ihnen, aber nach Schätzungen der Gewerkschaft CGIL arbeitet mindestens die gleiche Anzahl vollkommen unkontrolliert und ist somit vollkommen rechtlos.

Gewerkschafter haben ausgerechnet, dass hinter den »Caporali« ein Business von rund fünf Milliarden Euro jährlich steckt. Bei solchen Summen ist die organisierte Kriminalität natürlich nicht weit. Das Gesetz dagegen, darin ist man sich einig, ist gut, wird aber nicht wirklich angewandt, auch weil es viel zu wenige Kontrollen gibt. Don Luigi Ciotti, Vorsitzender der Antimafia-Bewegung »Libera«, sagt dazu: »Das Gesetz muss auch funktionieren. Denn ohne Rechte, ohne Würde und ohne einen gerechten Lohn ist die Arbeit nur Sklaverei.«

Gegen diese neue Form von Sklaverei haben die Gewerkschaften in Foggia für Mittwoch einen Generalstreik der Landarbeiter ausgerufen.

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