Gelenkte Weltwirtschaft

Über die Gründe für chinesische Investitionen in Deutschland und deutsche Investitionen in China, politische Regulierung und ideologischen Glimmer.

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Große Koalition will die Außenwirtschaftsverordnung novellieren und bei einem großen Newsportal liest sich das dann so: »Deutsche Unternehmen sind bei Investoren begehrt, vor allem bei chinesischen Konzernen. Die Bundesregierung will kritische Infrastruktur und Wissen schützen - und plant, Übernahmen früher stoppen zu können.«

Der Schritt Berlins setzt fort, was in den vergangenen Tagen bereits Schlagzeilen machte - etwa die Verhinderung des Einstiegs des chinesischen Staatskonzerns SGCC in den Netzbetreiber 50Hertz oder der Widerstand gegen eine Übernahme des Werkzeugmaschinenherstellers Leifeld Metal Spinning durch die Firma Yantai Taihai Corp. Und auch im globalen Handelskonflikt war der »Deal« zwischen der Europäischen Union und den USA, der mehr eine Art Feuerpause darstellt, als Einigung betrachtet worden, die sich letzten Endes gegen China richtet.

Und so schlagzeilt die »Frankfurter Allgemeine« denn in Sachen Außenwirtschaftsverordnung auch: »Deutschland verschärft Kurs gegen China«. Die Sache wirft ein Licht auf die Rolle des Staates als »ideeller Gesamtkapitalist«, von dem Friedrich Engels einmal meinte, dass seine Rolle unter anderem darin bestehe, »die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten«, und zwar auch »gegen Übergriffe … der einzelnen Kapitalisten«.

Die Pointe in diesem Fall (wie auch in anderen Fällen) ist, dass sich das Wirken des Staates dabei in ziemlichem Widerspruch zu »einzelnen Kapitalisten« bewegen kann, was man an den Reaktionen der diese vertretenden Lobbyverbände sehen kann.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnte, »eine Verschärfung könnte ausländische Investoren abschrecken und uns zugleich Hürden in anderen Ländern aufbauen«. Beim Industrieverband BDI hieß es, »Investitionen von ausländischen Investoren sind wichtig für den Standort Deutschland«. Staatliche Eingriffe in Übernahmen müssten »auf sensible sicherheitsrelevante Bereiche beschränkt werden und sich strikt am Schutz der nationalen Sicherheit orientieren«. Und das unternehmensnahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln beschied: »Investoren aus dem Ausland unter besondere Beobachtung der Wirtschaftspolitik zu stellen, widerspricht eigentlich den Grundsätzen offener Märkte.«

Mit dem Wörtchen »eigentlich« ist schon ein gewisses Maß an Herumeierei angezeigt. Seit Jahren fordern Politik und Wirtschaftslobby von Peking offenere Märkte, weniger staatliche Kontrolle bei Investitionen in China - und nun macht Berlin selbst das Gegenteil, dabei eine Begründung ins Feld führend, die außerordentlich dehnbar ist. Was sind denn »unsere nationalen Sicherheitsinteressen und Belange der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« und in welcher Weise stimmt die Behauptung, diese könnten durch die Versagung von Übernahmen »besser geschützt werden«?

Hier liegt auch der Grund der Nervosität unter den Unternehmensverbänden, die zwar selbst andeuten, die Novelle der Außenwirtschaftsverordnung sei erwartbar gewesen und werde wohl auch nicht sehr große Auswirkungen haben. Dass aber die Bundespolitik überhaupt den Weg der Verschärfung geht, wird als Richtungssignal bewertet.

Man könnte lange darüber diskutieren, ob und unter welchen Bedingungen ein stärker zur Geltung gebrachtes politisches Primat in der Ökonomie sogar wünschenswert wäre. Es wäre zu fragen, welche gesellschaftlichen Bedürfnisse dabei treibend sein sollten. Eine »Lex China« in der Außenwirtschaftsverordnung hat damit nicht viel zu tun - sie entspricht der tagesaktuellen Sicht einer Regierung, die sich in Zeiten der Neuordnung globaler Konkurrenz und hegemoniepolitischer Krise zu positionieren versucht.

Wenn aber zur Begründung schon eine Krücke wie die »öffentliche Ordnung« geschwungen werden muss, darf man skeptisch über die gesamte Argumentation sein.

Ob es, wie eine Facette davon lautet, China mit der Übernahme von oder durch Investitionen in deutsche Unternehmen vor allem um Technologietransfer im Rahmen der Strategie »Made in China 2025« geht, steht dahin. Chinesische Firmen sind nur an einem kleinen Teil der Übernahmen hierzulande beteiligt, und selbst bei der Maschinenbaulobby VDMA heißt es mit Blick auf den Technologietransfer, dieser stelle »keine reale Gefahr« dar. Dies auch deshalb, weil bloßes Wissen nicht reiche, und das Bild vom bloßen Nachbau durch Ideenklau ohnehin nicht mit der Realität übereinstimme. Hinzu kommt, worauf der Volkswirt Horst Löchel von der Frankfurt School of Finance & Management hinweist: »Relevante Studien zeigen, dass gar keine Rede davon sein kann, dass die jeweiligen chinesischen Investoren - ob privat oder staatlich - einen Technologietransfer nach China vollziehen«.

Ein zweites Argument, das immer wieder zu hören ist, betrifft die politische Ökonomie Chinas generell: Während in linken Kreisen umstritten ist, ob es sich bei dem Wirtschaftsmodell nun um Staatskapitalismus, »Sozialismus chinesischer Prägung« oder eine Kombination staatlich gelenkter Marktwirtschaft mit mehreren Elementen handelt, pochen hiesige Regierung und Unternehmensverbände gern auf höhere Werte. Auch bei Think Tanks findet man diese Argumentation.

Anna Holzmann und Max J. Zenglein vom Mercator Institute for China Studies haben unlängst die »zunehmend kritische Haltung gegenüber chinesischen Investitionen« auch in der EU damit erklärt, dass Peking die »strategische Nutzung ausländischer Technologie als Katalysator chinesischen Fortschritts« verfolge und dabei selbst Marktzugangsbeschränkungen für die eigene Volkswirtschaft durchsetze. »Die Strategie wird als Sinnbild für sämtliche (il)legale Wirtschafts- und Handelspraktiken Chinas angesehen, die mit dem liberalen und auf fairem Wettbewerb basierten Marktverständnis westlicher Industrienationen nicht vereinbar sind«.

Hierbei handelt es sich weniger um eine Beschreibung der Wirklichkeit, als um den ideologischen Glimmer, mit dem wirtschaftliche Praktiken zum Strahlen gebracht werden sollen, die selbst auch nicht eben fair sind. Und wenn etwa Michael Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, sagt, »allerdings besteht gerade mit Blick auf Staaten, die Marktwirtschaft und Kapitalismus nur selektiv nutzen und nicht in eine demokratische Verfassungsordnung eingebunden sind, doch besonderer Handlungsbedarf«, dann taucht unmittelbar eine Frage auf: Ob wir es nicht mit einer selektiven Nutzung eines »Arguments« zu tun haben. Denn von größeren Vorsichtsmaßnahmen mit Blick auf Investitionen aus anderen Ländern, in denen es um die Demokratie eher schlecht bestellt ist, hört man eher wenig.

Der Volkswirt Löchel spricht noch eine anderen Punkt an: »Die Hypothese, dass eine geplante Marktwirtschaft gegenüber einer reinen Marktwirtschaft für aufstrebende Volkswirtschaften das überlegene System ist, ist bisher jedenfalls nicht widerlegt.« Es geht hierbei einerseits darum, ob und inwieweit es überhaupt eine Hierarchie wirtschaftspolitischer Grundmodelle geben kann, die je nach Kräfteverhältnissen als »die richtige« auch Ländern »verordnet« werden kann.

Andererseits geht Löchel von einem Begriff wie »reine Marktwirtschaft« aus, was neue Probleme nach sich zieht. Denn die privat angeeignete Reichtumsproduktion brauchte immer schon und überall politische Voraussetzungen, nie gab es einen »reinen Markt«. Und wie man anhand der Pläne zur Verschärfung der deutschen Außenwirtschaftsverordnung sieht, greifen auch sich als »freie Marktwirtschaften« sehende Systeme gern zu Hebeln, die unter dem Strich »planend«, zentral, staatlich steuernd wirken.

Es gibt noch eine historische Komponente, auf man in diesem Zusammenhang hinweisen kann. Chinas aktuelle wirtschaftspolitische Strategie lässt sich mit dem Politikwissenschaftler Ulrich Menzel als dritter ordnungspolitischer Schwenk sei Gründung der Volksrepublik 1949 beschreiben.

Die erste Phase unter Mao war von radikalem Isolationismus geprägt, für den es in der chinesischen Geschichte Vorgänger gibt, die frühere Phasen ökonomischer Größe Chinas im Weltmaßstab beendeten. Im Spätmittelalter machte das Land verschiedenen wirtschaftshistorischen Schätzungen zufolge etwa 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung aus, auf jene Regionen, die heute die G7-Länder ausmachen, entfielen gerade einmal zehn Prozent.

Die zweite Phase ist mit Deng Xiaopings Politik der schrittweisen Öffnung bei reguliertem Zugang und außenhandelsgetriebenen Wachstum verbunden. Diese Phase wird nun von einem neuen Entwicklungsmodell abgelöst, bei dem Auslandsinvestitionen eine wichtige Rolle spielen - sozusagen die Fortsetzung des Weges unter umgekehrten Vorzeichen.

Denn der ökonomische Aufstieg Chinas in den vergangenen 30 Jahren ist nicht zuletzt seiner Rolle als billige Werkbank der Welt zu verdanken. »Nachdem China als ›Nehmerland‹ von Direktinvestitionen seinen ökonomischen Aufstieg gestaltet hat, steht das Reich der Mitte nun als ›Geberland‹ in der Kritik«, so formulierten es unlängst die Volkswirte Frederik Kunze und Torsten Windels von der Norddeutschen Landesbank.

»Mit erfolgreich erwirtschafteten Handelsüberschüssen wartet das Land nicht mehr passiv auf Technologietransfer durch Direktinvestitionen, sondern kauft gezielt Technologie ein.«

Die Ökonomen Kunze und Windels haben zudem daran erinnert, dass die Wirtschaftsbeziehungen »des Westens« mit China auch eine Vergangenheit haben - eben jene der zweiten Phase Pekinger Wirtschaftspolitik. Der Zustrom an ausländischen Direktinvestitionen nach China fußte ja »auch auf Seiten der ›Geberländer‹ offenkundig auf ökonomischen Kalkülen«. Zum Beispiel die niedrigen Lohn- und Produktionskosten, später mehr der schnell wachsende Binnenmarkt des Milliardenlandes. Es dürfe »die These gewagt werden« so Kunze und Windels, »dass Investoren aus den Industrieländern nicht an Kooperationen oder zum partnerschaftlichen Austausch per se interessiert waren«.

Um »partnerschaftlichen Austausch« geht es in der gegenwärtigen globalen Ökonomie ohnehin nicht. Es handelt sich nur um eine andere Art jenes ideologischen Glimmers, mit dem wirtschaftliche Praktiken der Konkurrenz, des Wettbewerbs, des Profitierens von der Arbeit anderer zum Strahlen gebracht werden sollen.

»Natürlich verfolgt China keine altruistische Außen- oder Außenhandelspolitik«, so der designierte Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft dieser Tage in der »Frankfurter Allgemeinen«. Und Gabriel Felbermayr ergänzte: »So, wie die anderen Mächte auch.«

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