- Wirtschaft und Umwelt
- Türkische Währungskrise
Mit langem Anlauf in die monetäre Krise
Während der türkische Präsident dem Ausland die Schuld für die Lira-Probleme gibt, sind diese seit 2011 sichtbar
Wird die Türkei das neue Griechenland? Manche Beobachter fühlen sich angesichts der aktuellen Turbulenzen um die türkische Währung an die griechische Finanzkrise erinnert. Der »schwarze Freitag« der Lira hat auch Europa nicht kalt gelassen: Der Euro gab nach, die Börsenkurse ebenfalls. Vor allem Bankaktien zogen den Markt nach unten. In Deutschland durfte auch Panzerlieferant Rheinmetall einen kleinen Dämpfer hinnehmen. Auslöser war eine unbestätigte Nachricht der »Financial Times«, das sich die Europäische Zentralbank Sorgen wegen Krediten türkischer Unternehmen macht, die gegen Währungsturbulenzen möglicherweise nicht genügend abgesichert seien.
Hinzu kommt der für Ende September angekündigte Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogans in Berlin, der zu einer Zeit verabredet wurde, als diese Krise bereits am Heraufdämmern war. Er trifft dabei auch Bundeskanzlerin Angela Merkel - sie war es ja, die seinerzeit den »Rettungsschirm« über Griechenland aufspannte, mit all seinen bekannten Folgen.
Vergleicht man die wirtschaftliche Situation der Türkei mit der Griechenlands, so fallen allerdings zunächst die Unterschiede auf. So hat die Türkei keine hohen Staatsschulden. Es mag einiges in versteckten Winkeln geben, aber zumindest offiziell sind sie niedriger als zum Beispiel in Deutschland, was zu Beginn der Euro-Finanzkrise aber auch für Spanien und Irland galt.
Verschiedene Kommentatoren sahen Griechenland seinerzeit auch in einer Art Euro-Falle. Athen hat keine eigene Währung, die man abwerten konnte, um die Exportindustrie anzukurbeln. Das Problem hat Ankara nicht: Alleine am vergangenen Freitag wertete die Lira um 15 Prozent gegenüber dem US-Dollar ab. Doch genau dies bereitet nun Sorgen, ist dies doch der sichtbare Teil des Problems.
Ein dritter Unterschied ist, dass die Zuspitzung der monetären Krise in der Türkei politisch angestoßen ist und zwar durch Druck von außen. Hätte ein türkisches Gericht am 26. Juli den wegen Spionageverdachts angeklagten Pastor Andrew Brunson freigelassen, anstatt ihn unter Hausarrest zu stellen, und hätte Donald Trump diplomatischer reagiert als mit zusätzlichen Strafzöllen auf türkische Stahlimporte, hätte es den schwarzen Freitag der Lira vermutlich nicht gegeben.
Diese Krise sei nur die Folge eines Wirtschaftskrieges von Außen, lautet nun das Mantra Erdogans. Orhan Bursali, Kolumnist der oppositionellen Tageszeitung »Cumhuriyet«, hält diese Darstellung für falsch und fragt rhetorisch: »Ist denn die Wirtschaft plötzlich aus dem Gleis gesprungen und mit lautem Getöse verstorben?« Der Autor weist darauf hin, dass die türkische Währung schon seit 2011 jedes Jahr gegenüber dem Dollar an Wert verliert. Die Auslandsschulden seien in den letzten 15 Jahren von 130 Milliarden auf nun 465 Milliarden Dollar angestiegen, was nach aktuellen Devisenkursen 75 Prozent des Volkseinkommens entspricht. Der Löwenanteil entfällt auf Schulden privater Firmen. Viele Infrastrukturprojekte ließ sich der Staat von Baufirmen finanzieren als Gegenleistung für die Zusicherung von Nutzungsgebühren in bestimmter Höhe. Das nötige Geld liehen sich die Firmen auf dem von billigem Zentralbankgeld überschwemmten internationalen Kapitalmarkt. Dieses System, das schnelles Wachstum in der Türkei ohne hohe Staatsschulden garantierte, ist an seine Grenze gekommen.
Nicht nur Baufirmen haben Probleme. Im April musste der Lebensmittelproduzent Yildiz Holding 6,5 Milliarden Dollar Schulden »umstrukturieren«. Beim Restaurantkettenbetreiber Dogus Holding ging es um 2,5 Milliarden. Der Verfall der Lira macht den Schuldendienst teuer. Gleichzeitig bricht der Konsum ein, weil sich Zinsen, Importwaren und Energiekosten verteuern.
Ein gangbarer Ausweg aus der Krise ist derzeit nicht in Sicht. Trump nachzugeben oder beim Internationalen Währungsfonds um einen Notkredit anzufragen, würde auf einen Gesichtsverlust Erdogan hinauslaufen. Ebenfalls schwer vorstellbar sind Kapitalverkehrsbeschränkungen, da das Land ja von Auslandskrediten abhängt. Das neue Wirtschaftsmodell, das Erdogans Schwiegersohn, Finanzminister Berat Albayrak, am Freitag vorstellte, enthielt wenig Konkretes. Sein Bekenntnis zu einer unabhängigen Zentralbank beruhigte den Devisenmarkt nicht. Seit Erdogans Wahlsieg im Juni hat sich diese keinen Mucks mehr getraut. Ihre nächste reguläre Sitzung ist erst am 13. September. Eine Zinserhöhung käme dann ohnehin viel zu spät.
Zu einem Vergleich mit Griechenland gehört auch die Frage, inwiefern Deutschland ist. Da die Türkei erst an 16. Stelle unter den Abnehmern deutscher Waren steht, kann die Exportwirtschaft die Krise verkraften. Die größten europäischen Kreditgeber der Türkei sind Großbanken aus Spanien, Frankreich und Italien. Bei der Deutschen Bank geht es um kleinere Summen - da sie aber bereits wacklig dasteht, könnte dies zum ernsten Problem werden.
Trotzdem wird Erdogans Besuch in Berlin wohl kaum mit einem »Rettungsschirm« für die Türkei enden. Der Gast wird hauptsächlich um Unterstützung seiner Außenpolitik werben nach dem Motto, man könne ja Flüchtlinge in einem türkischen Protektorat in Syrien ansiedeln, und in diesem Zusammenhang wohl auch von Geld sprechen. Mehr dürfte Erdogan auf Hilfe aus China setzen - diese könnte er zu Hause als strategischen Gegenschlag gegen Trump verkaufen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.