Merkel will Spanien bei Abschottung helfen

Kanzlerin versprach Ministerpräsident Sánchez bei Staatsbesuch Unterstützung bei der Eindämmung von Flüchtlingsbewegungen aus Marokko

  • Lesedauer: 4 Min.

Sanlúcar de Barrameda. Deutschland will die Bemühungen Spaniens unterstützen, die Flüchtlingsbewegungen von Marokko übers Mittelmeer nach Europa einzudämmen. Bei den Gesprächen mit dem nordafrikanischen Staat habe aber Spanien die Federführung, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag im spanischen Sanlúcar de Barrameda zum Auftakt ihres zweitägigen Besuchs bei Ministerpräsident Pedro Sánchez.

Marokko fühlt sich von der EU allein gelassen und dringt auf stärkere finanzielle Unterstützung. Die Regierung geht davon aus, dass sich etwa 18 000 Schutzsuchende im Land aufhalten. »Zur Zeit steht das Land unter einem enormen Migrationsdruck, der von den Ländern südlich der Sahara ausgeht«, sagte Sánchez.

Das afrikanische Land könne bei ausreichender Unterstützung eine »Schlüsselrolle bei der Ordnung der Migrationsströme spielen«, betonte der Chef der spanischen Sozialisten. Er wies darauf hin, dass die Küsten Spaniens und Europas zum Teil nur 14 Kilometer von Afrika entfernt seien. Über die Höhe der nötigen zusätzlichen finanziellen Mittel wollte Sánchez nicht sprechen.

Merkel hob ihrerseits hervor, man werde bei den Gesprächen mit den Herkunfts- und Transitländern nur dann erfolgreich sein, »wenn beide Seiten gewinnen, wenn beide Seiten etwas davon haben«. »Es reicht nicht aus, wenn wir über Afrika sprechen, wir müssen mit Afrika sprechen«, sagte sie.

Auf die Frage, ob Spanien Flüchtlinge aufhalten müsse, die nach Deutschland weiterreisen wollten, antwortete Merkel ausweichend. Das bisherige Dublin-System sei »nicht funktionsfähig«, sagte sie. »Nach der Theorie dürfte nie ein Migrant oder ein Flüchtling in Deutschland ankommen. Das entspricht aber nicht der Realität.« Das Dublin-System sieht vor, dass in der Regel jener Staat für einen Flüchtling zuständig ist, in dem er zuerst den Boden der EU betritt.

Deutschland und Spanien haben jüngst eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach die Bundesrepublik Schutzsuchende, die schon in Spanien einen Asylantrag gestellt haben, binnen 48 Stunden dorthin zurückschicken kann. Es geht aber nur um Asylbewerber, die an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden und damit um extrem wenige Menschen. Gespräche zu ähnlichen Vereinbarungen mit Griechenland und Italien hatten bis Samstag noch keine Ergebnisse gebracht.

Merkel bedankte sich bei Sánchez für das Abkommen. Ob es vielleicht nicht doch nur eine »symbolische Vereinbarung« sei, da nur relativ wenige Asylbewerber davon betroffen seien, wurde sie gefragt. »Der Wert des Abkommens besteht darin, dass Deutschland und Spanien auf europäische Lösungen setzen«, antwortete die Kanzlerin.

Die Flüchtlinge seien eine Angelegenheit aller EU-Staaten, nicht nur der Ankunftsländer am Mittelmeer, sagte Merkel. Diese sagten zurecht: »Das ist doch eine Herausforderung für uns alle.« Es gelte, ein »faires Verteilsystem« innerhalb Europas zu finden, mit den Herkunftsländern zu sprechen, Schleppern das Handwerk zu legen sowie Abkommen über Rückführungen zu schließen.

Das Problem der Flüchtlingsverteilung in der EU sei zwar »offensichtlich das dickste Brett«. Es sei aber zu bewältigen, und sie wolle es »im Geist der Partnerschaft« lösen. Voraussetzung sei, dass allen klar sei, dass Migranten ohne Bleiberecht auch in ihre Herkunftsländer zurückgebracht werden könnten.

Bei den Treffen am Samstag und Sonntag sollte das Migrations- und Flüchtlingsthema im Mittelpunkt stehen. Bei diesem hätten Madrid und Berlin einen »gemeinsamen Ansatz«, hieß es in einer Mitteilung der spanischen Regierung. Nach der Pressekonferenz setzten Merkel und Sánchez ihre Gespräche in einer Finca im Nationalpark Doñana fort. In dem riesigen Naturschutzgebiet verbringt der seit Anfang Juni regierende Sozialist zurzeit einige Urlaubstage mit seiner Familie.

Marokkanische Sicherheitskräfte hatten in den vergangenen Tagen Hunderte Migranten nahe der Mittelmeerküste aufgegriffen und in den Süden des Landes gebracht. Ein Behördenvertreter in der Hafenstadt Tanger sprach am Samstag von einem »Einsatz im Rahmen des Kampfes gegen illegale Migration«. 1600 bis 1800 Migranten seien in Orte gebracht worden, »in denen bessere Lebensbedingungen herrschen«.

Marokkanische Menschenrechtler sprachen hingegen von illegalen Deportationen. Migranten würden seit Dienstag in Bussen von Nador und Tanger in die Stadt Tiznit nahe Agadir gebracht, sagte Omar Naji von der Marokkanischen Menschenrechtsvereinigung (AMDH) in Nador. Auch am Samstag sei diese Praxis fortgesetzt worden.

Die Migranten würden in ihren Camps im Norden Marokkos aufgegriffen und dann über Hunderte Kilometer nach Süden verfrachtet, sagte Naji. Dies geschehe ohne Rechtsgrundlage. Einige der Flüchtlinge seien in der Nähe der Stadt Tiznit, rund 800 Kilometer südlich der Mittelmeerküste aus den Bussen gelassen worden, zitiert die Menschenrechtsorganisation einen der Migranten. Die Organisation spricht von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Mehrere Zeltlager in den Wäldern nahe der spanischen Exklave Melilla seien zudem zerstört worden. Naji machte neben den marokkanischen Behörden auch Spanien und die EU für das Vorgehen verantwortlich.

Vor der Küste Spaniens sind derweil am Wochenende neun aus Afrika stammende Schutzsuchende in einem Holzboot auf See gekentert. Die Seenotrettung der spanischen Region Andalusien rettete die Männer nach einem Notruf, wie die Nachrichtenagentur Europa Press am Samstag berichtete. nd/Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -