Seeschlacht zwischen AfD und Seebrücke

Aktivisten protestierten auf der Oberbaumbrücke / AfD-Anhänger warfen Flaschen auf Versammlung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Rettet das Retten«, steht auf einem Transparent an dem Holzfloß »Anarche«. Überall auf dem 15 mal fünf Meter langen Gefährt verteilt: orangefarbene Rettungswesten. Als das von einem Kollektiv betriebene Floß am Mittwochabend auf der Spree die Berliner Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg passiert, gibt es Jubel. Auf der Brücke haben sich rund 250 Menschen versammelt. Sie tragen orange Fahnen, Regenschirme, Armbinden und Rettungswesten. Einige haben reflektierende Rettungsdecken an Stäben aufgehängt. Die Erkennungszeichen der »Seebrücke«-Bewegung, Symbole der Seenotrettung. Offiziell eingeladen hatte man zu einem Flashmob. Nun wird kurzerhand die Brücke blockiert. Autos kommen nicht mehr durch.

»Wir haben eine symbolische Grenze gezogen, um den Normalzustand zu durchbrechen«, sagt Liza Pflaum, Sprecherin der »Seebrücke«, gegenüber »nd«. »Die Autofahrer können nicht durch, aber ihnen passiert nichts«, führt die Sprecherin aus. »Die Schutzsuchenden, die nicht durch das Mittelmeer kommen, ertrinken dagegen.« Mit der Blockade wollen die Aktivisten gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestieren. Zugleich soll ein Zeichen der Solidarität mit Flüchtlingen und den Betreibern privater Seenotrettungsorganisationen gezeigt werden. T-Shirts und Schilder der Teilnehmer verweisen auf Initiativen wie »Sea Watch«, »SOS Méditerranée«, »Lifeline« oder »Jugend Rettet«.

Nicht alle sind davon begeistert. Eine Besuchergruppe des AfD-Bundestagsabgeordneten Armin-Paul Hampel kommt gegen Ende der Veranstaltung auf dem Touristenschiff »Bellevue« angefahren. Die Tour war neben dem Besuch der russischen Botschaft offizieller Teil ihres Tagesprogramms. Als die Rechten die Oberbaumbrücke durchfahren, beginnen einzelne Personen offenbar ihre Mittelfinger zu zeigen und mit Bierflaschen und Gläsern zu werfen. Laut Zeugenberichten waren sie auf das Aufeinandertreffen vorbereitet. »AfD, AfD, AfD!«, wird skandiert. Nach Angaben der Reederei fordert der Kapitän die Menge auf, den Bewurf zu unterlassen, doch man hört nicht auf ihn. Als das Schiff nahe der Friedrichstraße anlegt, wartet bereits die Polizei.

»Natürlich muss der Schiffsführer in so einem Fall Anzeige bei der Polizei erstatten«, sagt eine Sprecherin der Reederei gegenüber »nd«. Mit AfD-Anhängern wolle man in Zukunft nicht mehr zusammenarbeiten. »Wir werden denen auf keinen Fall mehr einen Platz bei uns geben!« Hampel gibt gegenüber der Polizei an, dass seine Gruppe von Personen auf der Brücke zuerst beworfen und mit einer Flüssigkeit überschüttet worden sei.

Die »Seebrücke«-Blockade erhält derweil Unterstützung, unter anderem von Florian Westphal, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, und Katina Schubert, der Landesvorsitzenden der Berliner Linkspartei. »Wir müssen einen Gegenpol zu den rechten Regierungen schaffen«, sagt Schubert gegenüber »nd«. Ihre Partei wolle nun prüfen, ob man den Senat dazu bringen könne, die »Charta von Palermo« zu unterschreiben. Das Papier wurde im März 2015 von der Stadtverwaltung von Palermo veröffentlicht. Das Recht auf Asyl, politische Teilhabe und kulturellen Austausch wird in der Charta als neues Staatsbürgerrecht verbrieft. »Wir unterstützen ein solches Unterfangen«, sagt Schubert.

Berlin hatte Ende Juni als eine der ersten Städte Deutschlands angekündigt, weitere Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Nun prüfe man eine engere Zusammenarbeit im »Netzwerk Solidarische Städte«, in dem unter anderem auch Palermo und Barcelona organisiert sind, so Schubert. Für viele Aktivisten reicht das noch nicht. Speziell vom rot-rot-grünen Senat fordern sie eine konkretere Unterstützung der privaten Seenotretter. »Wenn Berlin solidarisch, antirassistisch und offen sein möchte, dann stellt sich die Hauptstadt jetzt gegen das Innenministerium auf die Seite der orangefarbenen Vielfalt und organisiert Zuflucht für Menschen in Seenot«, so Pflaum. Schubert erklärt: »Auch die Bundesregierung ist hier gefordert.«

Nach rund einer Stunde löst sich die Blockade friedlich auf. Eine Spontandemonstration wird von der Polizei gestoppt. Laut Pflaum finden die nächsten größeren Proteste im Rahmen der europäischen »Seebrücke«-Aktionstage zwischen dem 25. August und dem 2. September statt.

Festnahmen gab es keine. Die Polizei hat im Nachgang der Protestaktion aber vier Strafverfahren eröffnet. Bei den AfD-Bootsgästen wird wegen Landfriedensbruch und versuchter gefährlicher Körperverletzung gegen zwei Männer ermittelt. Eine 53-Jährige wurde laut den Beamten von einer Flasche an der Wade getroffen, blieb aber unverletzt. Bei den »Seebrücke«-Teilnehmern ermittelt man wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, von der Brücke aus habe es zudem ebenfalls einen Fall von Landfriedensbruch gegeben. »Wir haben viele Personendaten, die Ermittlungen können einige Zeit dauern«, so eine Polizeisprecherin zu »nd«.

Die »Seebrücke« ist eine Bewegung, die Ende Juni spontan entstand, nachdem das private Rettungsschiff »Lifeline« mit 234 geretteten Menschen an Bord im Juli mehrere Tage lang am Einlaufen in einen europäischen Hafen gehindert worden war. Zehntausende Menschen gingen in den vergangenen Wochen bundesweit auf die Straße, um eine Entkriminalisierung der Seenotrettung und sichere Fluchtwege zu fordern.

»Es kann kein Normalzustand sein, dass Menschenleben immer wieder zum Spielball der europäischen Abschottungspolitik gemacht werden und Seenotrettungsschiffe tagelang um einen sicheren Hafen betteln müssen«, kritisiert Pflaum. Die Aktivistin verweist darauf, dass seit Jahresbeginn im Mittelmeer mehr als 1000 Flüchtlinge ertrunken sind.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.